Benefits kommen aus Teesside im Nordosten Englands und verstehen sich als ein Musikkollektiv, das nach eigenem Verständnis absolut notwendige Songs mit hoher Dringlichkeit veröffentlicht – und das machen sie laut und heftig: „We write songs about the urgencies that concern us. These songs are loud.“ Das 2019 gegründete Quartett hatte zunächst den Ruf einer klassischen Indie-Punk-Band und wurde oft als „IDLES-lite” beschrieben. Aber unter den unerträglichen Zuständen in England entwickelten sie sich zunehmend zu einer aggressiven, betäubenden Gruppe, die ihre politischen Botschaften und ihre Unzufriedenheit unmissverständlich mit wilder Punk-Attitüde und irrem Noise-Gewitter herausschreien. Frontmann und Gitarrist Kingsley Hall, der uns all seine Wut und seinen Hass über den vorherrschenden Patriotismus, den offenen Rassismus und die ätzenden Tories in galligem Sprechgesang entgegenschleudert, wird von den Brüdern Robbie (Syntheszier) und Hugh Major(Bass) sowie dem Schlagzeuger Dale Frost lautstark unterstützt. Nein, sie haben wirklich nicht viel übrig für ihr Heimatland.
Benefits
Nails
Veröffentlicht: 21. April 2023
Label: Invada / PIAS / Rough Trade
Textausschnitt aus „Marlboro Hundreds”
Formulate your own ideas
Don’t get bullied by hate speech
Ignore cartoon fascists
Reject hate
Nails, das Debütalbum der Band, ist eine Art Konzeptalbum und als solches sollte man es auch hören — vom ersten bis zum letzten Track. Das ist aufregend, anstregend und manchmal auch entnervend, aber es entfaltet mit seiner Wut und Härte eine kathartische, wilde Kraft und ist am Ende ungemein befreiend. Gleich mit dem Auftakttrack „Marlboro Hundreds“ spuckt Hall unter glühenden, dröhnenden Drums Gift und Galle und bellt uns seine Ratschläge entgegen: „Don’t fall into apathy / Don’t be fooled again and again / Don’t get fooled again / They repeat the lie / Until it’s true / Question everything”. Also lasst euch nicht verarschen, denn: „You are significant / You have a worth, you are unique.“ Bei „Empire“ oder „Meat Teeth“ ist die Wut im wörtlichen Sinne körperlich spürbar, sie steigert sich hin zu einem brodelnden Chaos und gewaltigen Noisegewitter. Hall ist unüberhörbar angepisst von den Zuständen in Great Britain. Bei der Single-Auskopplung „Warhorse“ werden wiederum die Punk-Wurzeln der Band freigelegt und knüpfen an die älteren Songs der Band an. Mit seinem durchgehenden, punkigen Groove ist der Track schon fast radiotauglich. Die Tracks „Shit Britain“ und „Mindest” entpuppen sich als faszinierende Trip-Hop-Verwandte und sorgen für kurze, entspannende Momente, die aufatmen lassen. „Flag“ hingegen geht in wütendem, aggressivem Hip-Hop den Patriotismus und Nationalismus frontal an und erinnert mit seinem rhythmischen Sprechgesang ein wenig an Kae Tempest, wohingegen es bei „Traitors“ wieder besonders aggro und wütend zugeht, denn die Zustände sind wirklich unerträglich: „Rule Britannia playing on the radio twenty four hours a day, union flags hung in every street. Spitfires fly past, homeless pile up, no one gives a fuck“. Bei aller Trostlosigkeit und allem Pessimismus des Albums kommt der Schlusstrack „Council Rust“ mit seinen kontemplativen Orchesterklängen dann versöhnlich daher und verbreitet ein wenig Hoffnung und Optimismus. Hall beschwört uns, „ Die Bastarde nie gewinnen zu lassen / wachsam zu bleiben“, und nach einer halben Stunde voller poetischer, ätzender Wut lehnt man sich befreit zurück und ist sich sicher, mit Nails ein ungewöhnliches, starkes Album gehört zu haben – das man auch sicher bald wieder auflegen wird, um es sich nochmal in Gänze anzuhören.
… und hier das offizielle Video zum Track „what more do you want“ — gewaltig und gewalttätig.