Protomartyr ist eine amerikanische Post-Punk-Band, die 2010 in Detroit, Michigan, gegründet wurde. Das Quartett besteht aus dem charismatischen Frontmann und Sänger Joe Casey, dem Gitarristen Greg Ahee sowie Alex Leonard am Schlagzeug und Scott Davidson am Bass. Seit 2020 werden sie bei ihren Tourneen von der legendären Kelly Deal, die ja bereits bei den Pixies und vor allem den Breeders mitwirkte, als Keyboarderin, Gitarristin und Backgroundsängerin verstärkt. Der Name Protomartyr hat wohl eine tiefere, symbolische Bedeutung. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie „erster Märtyrer“. Historisch bezieht sich der Begriff insbesondere auf den heiligen Stephanus, der als der erste christliche Märtyrer gilt. Die Band mag den Namen gewählt haben, um darauf hinzuweisen, dass sie sich selbst als Stimme des Widerstands gegen soziale, politische oder kulturelle Ungerechtigkeiten sieht. Auch passt die innewohnende Schwere und symbolische Tiefe gut zum künstlerischen Ausdruck der Band.
Protomartyr
Formal Growth In The Desert
Veröffentlicht: 2. Juni 2023
Label: Domino Recording
Textausschnitt aus „Know the Rats”
Did the Christ feel bad
for the gibbering swine
he threw those demons in?
I doubt he bat an eyelid.
Das nunmehr sechste Album der Gruppe wurde auf der Sonic Ranch in Tornillo im texanischen El Paso mit dem New Yorker Produzenten und Musiker Jake Aron aufgenommen. „Die Wüste ist eher eine Metapher oder ein Symbol“, so Sänger Joe Casey, „für emotionale Wüsten oder einen Ort oder eine Zeit, in der das Leben zu fehlen scheint.“ Das Album entstand in einer wechselhaften und schweren Zeit für Casey. „Ein 12-Song-Testament, um ‚mit dem Leben weiterzumachen’, selbst wenn es sich unmöglich anfühlt“ — wie er auf Bandcamp mitteilt. In diese Zeit fiel auch der Tod seiner an Demenz erkrankten Mutter, deren Ableben in mindestens zwei Tracks thematisiert wird. Zum einen in dem berührenden, melancholisch rumpelnden „Graft Vs. Host“, in dem es heißt: „In an empty room where love once was / Sadness running through my mind / She wouldn’t want to see me live this way“. Ein Song über den Wunsch, nach einem vernichtenden Verlust auch wieder Glück zu erleben — wie er hier über seine verstorbene Mutter schreibt, ist ungewohnt direkt und klar: „Sie hätte gewollt, dass ich versuche, das Glück in einem wolkenlosen Himmel zu finden”, singt er. Im Track „The author“ wird er nicht ganz so deutlich: Hier gedenkt er mit tiefer Dankbarkeit seiner Mutter: „If there’s good in me / Chant it out to her / She is the author“. Daneben erinnert er sich in dem bewusst falsch geschriebenen „Fun in hi skool“ an seine eigene Jugend und beschimpft all die Idioten, die ihn damals nervten. Textlich möglicherweise etwas kindisch, überzeugt der Track musikalisch mit seinen nervösen Trommelschlägen, dem gebellten, stockenden Gesang, den schleichenden Gitarren und den eingesprenkelten Störgeräuschen. Sicher ist dieses Album Caseys intimstes, persönlichstes, aber es geht nicht nur um seine eigenen Befindlichkeiten. Wie bereits auf den vergangenen Alben behandelt Protomartyr nach bekannten Mustern auch hier wieder Themen sozialer und politischer Natur. So rechnen sie im unruhigen, krachigen „Fulfillment Center“ mit den leeren Versprechungen des modernen, amerikanischen Traums ab, und sie wissen wie in „Know the Rats”, wer für den gesellschaftlichen und spirituellen Verfall verantwortlich ist. Es ist erneut ein tolles Album des Detroiter Quartetts, das mit seiner feinen Mischung aus Post-Punk und Goth-Americana auch wieder einige wunderbare, druckvolle Rockkracher bereithält. Es endet mit dem leicht verträumten „Rain Garden”, in dem Casey sich an das Album „Kiss Me Kiss Me Kiss Me” von The Cure aus dem Jahr 1987 erinnert – eine versöhnlicher, optimistischer Abschluss der apokalyptischen Post-Punker.