Viel weiß man nicht über Prostitute – und das scheint Absicht zu sein. Die amerikanische Noiserock-Band hält sich öffentlich bedeckt, Interviews gibt es bislang kaum, Social-Media-Präsenz fast keine. Was durchdringt, ist ihre Musik – und die ist laut, fordernd und auf schmerzliche Weise politisch. Was man weiß: Die experimentelle Noiserock-Band kommt aus Dearborn, einer Stadt in Wayne County, Michigan, USA – einem Vorort der Metropole Detroit mit dem proportional größten muslimischen Bevölkerungsanteil der Vereinigten Staaten und der größten Moschee in Nordamerika. Das Quartett wurde in den späten 2010er Jahren gegründet und setzt sich aus Sänger und Gitarrist Moe Khachab, Gitarrist Ross Babinski, Bassist Dylan Zaranski und Drummer Andrew Kaster zusammen. In ihrer Musik treffen aggressive Gitarrenriffs auf dichte, oft chaotische Rhythmen und politisch aufgeladene Texte, die stark von Khachabs libanesischer Herkunft geprägt sind. Die Heimatstadt mit ihrer großen arabisch-amerikanischen Community liefert dabei den kulturellen und emotionalen Hintergrund für den Sound der Band. Nach Jahren intensiver Live-Auftritte in der lokalen Underground-Szene legte Prostitute 2024 mit „Attempted Martyr“ ein kompromissloses Debütalbum vor.
That was three years, three years spent
Textausschnitt aus „M. Dada“
Passing by your windows with a lot of lead
Lost under the silent season
Held to a brooding contortionist dance
Calling satan out of leisure
Now presenting: the Sultan Al-Bokhari
The prince and his caliph
Das Debüt „Attempted Martyr“ von Prostitute wütet sich in 44 Minuten durch neun Songs – laut, hässlich, politisch. Entstanden „unter dem Zwang einer Welt in Aufruhr“, ist es dem Libanon gewidmet – der Heimat von Sänger Moe Khachabs Familie, deren Kriegstraumata das Album prägen. Schon der arabischsprachige Opener fällt aus dem Noise-Rahmen: ein ruhiger Klagegesang, der zwischen Sphärenklang und Entfremdung schwebt. Doch schon bald eskaliert alles. „All Hail“ zitiert den Song „Consume Red“ der japanischen Jazzcore-Band Ground Zero samt Hojok-Sample und baut daraus ein Riff-Monster mit sakraler Wut. „Wahre Herrlichkeit wird durch Blut beansprucht“, röhrt Khachab – ein Satz, der hängen bleibt, auch weil man nicht weiß, ob er Anklage oder Fanal ist.
Im Ungefähren
Das ist überhaupt das Verstörende an Prostitute: Sie sind nicht eindeutig. Sie schreien gegen Gewalt, Machtmissbrauch und Identitätsverlust, aber ihre Bilder sind drastisch, ihre Sprache radikal. In „Body Meat“ heißt es: „Was bin ich wert, wenn nicht verherrlicht und in Flammen geschmückt?“ – ein paranoider Soundtrack zur Selbstauslöschung im Kapitalismus, hart an der Grenze zum Zynismus.
Brennende Wut
Musikalisch schlagen Prostitute alles kurz und klein. Gitarrist Ross Babinski wühlt sich durch noisige Metal-Riffs, Drummer Andrew Kaster knüppelt gnadenlos auf sein Drumset ein, Bassist Dylan Zaranski wuchtet die Songs in den Magen. „Judge“ ist wütend und treibend, „Senegal“ lässt subtile afrikanische Rhythmen aufscheinen, „M. Dada“ verbeugt sich vor dem Absurden. Selbst in langsameren, ruhigeren Tracks – „In the Corner Dunce“ oder dem epischen Finale „Harem Induction Hour“ – spürt man ihre Wut, aber sie ist nicht cool, sondern brennend ernst. Sie richtet sich gegen Unterdrückung in vielen Formen: politisch, kulturell, körperlich und psychisch. Ihre Musik klingt, als wäre sie aus dieser Wut geformt – roh, widersprüchlich und gerade deshalb so glaubwürdig.
Ein Ausnahme-Debüt
Allerdings gibt es mit „Joumana Kayrouz“ auch einen Track, in dem Khachab einer libanesisch-amerikanischen Anwältin huldigt, deren Lebensweg als feministische Erfolgsgeschichte gelesen werden könnte – allerdings sind die Lyrics derart sexuell aufgeladen, dass sie mehr Fragen aufwerfen, als Antworten zu geben. „Attempted Martyr“ ist ein Ausnahme-Debüt: roh, unkontrolliert, aber seltsam präzise in seiner Unschärfe. Prostitute sind keine Nachahmer – in ihrer Härte und klanglichen Zerstörung sind sie einzigartig im experimentellen Punk.