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Prostitute

Durch­schnitt­li­che Lese­dauer 2 Minu­ten

Viel weiß man nicht über Pro­sti­tute – und das scheint Absicht zu sein. Die ame­ri­ka­ni­sche Noi­se­r­ock-Band hält sich öffent­lich bedeckt, Inter­views gibt es bis­lang kaum, Social-Media-Prä­senz fast keine. Was durch­dringt, ist ihre Musik – und die ist laut, for­dernd und auf schmerz­li­che Weise poli­tisch. Was man weiß: Die expe­ri­men­telle Noi­se­r­ock-Band kommt aus Dear­born, einer Stadt in Wayne County, Michi­gan, USA – einem Vor­ort der Metro­pole Detroit mit dem pro­por­tio­nal größ­ten mus­li­mi­schen Bevöl­ke­rungs­an­teil der Ver­ei­nig­ten Staa­ten und der größ­ten Moschee in Nord­ame­rika. Das Quar­tett wurde in den spä­ten 2010er Jah­ren gegrün­det und setzt sich aus Sän­ger und Gitar­rist Moe Khachab, Gitar­rist Ross Bab­in­ski, Bas­sist Dylan Zar­an­ski und Drum­mer Andrew Kas­ter zusam­men. In ihrer Musik tref­fen aggres­sive Gitar­ren­riffs auf dichte, oft chao­ti­sche Rhyth­men und poli­tisch auf­ge­la­dene Texte, die stark von Khach­abs liba­ne­si­scher Her­kunft geprägt sind. Die Hei­mat­stadt mit ihrer gro­ßen ara­bisch-ame­ri­ka­ni­schen Com­mu­nity lie­fert dabei den kul­tu­rel­len und emo­tio­na­len Hin­ter­grund für den Sound der Band. Nach Jah­ren inten­si­ver Live-Auf­tritte in der loka­len Under­ground-Szene legte Pro­sti­tute 2024 mit Attempted Mar­tyr“ ein kom­pro­miss­lo­ses Debüt­al­bum vor.

Prostitute, Attempted Martyr

Prostitute

Attempted Martyr

Ver­öf­fent­licht: 20. Okto­ber 2024
Label: Self­re­leased

That was three years, three years spent
Passing by your windows with a lot of lead
Lost under the silent season
Held to a brooding contortionist dance
Calling satan out of leisure
Now presenting: the Sultan Al-Bokhari
The prince and his caliph

Text­aus­schnitt aus M. Dada“

Das Debüt Attempted Mar­tyr“ von Pro­sti­tute wütet sich in 44 Minu­ten durch neun Songs – laut, häss­lich, poli­tisch. Ent­stan­den unter dem Zwang einer Welt in Auf­ruhr“, ist es dem Liba­non gewid­met – der Hei­mat von Sän­ger Moe Khach­abs Fami­lie, deren Kriegs­trau­mata das Album prä­gen. Schon der ara­bisch­spra­chige Ope­ner fällt aus dem Noise-Rah­men: ein ruhi­ger Kla­ge­ge­sang, der zwi­schen Sphä­ren­klang und Ent­frem­dung schwebt. Doch schon bald eska­liert alles. All Hail“ zitiert den Song Con­sume Red“ der japa­ni­schen Jazz­core-Band Ground Zero samt Hojok-Sam­ple und baut dar­aus ein Riff-Mons­ter mit sakra­ler Wut. Wahre Herr­lich­keit wird durch Blut bean­sprucht“, röhrt Khachab – ein Satz, der hän­gen bleibt, auch weil man nicht weiß, ob er Anklage oder Fanal ist.

Im Ungefähren

Das ist über­haupt das Ver­stö­rende an Pro­sti­tute: Sie sind nicht ein­deu­tig. Sie schreien gegen Gewalt, Macht­miss­brauch und Iden­ti­täts­ver­lust, aber ihre Bil­der sind dras­tisch, ihre Spra­che radi­kal. In Body Meat“ heißt es: Was bin ich wert, wenn nicht ver­herr­licht und in Flam­men geschmückt?“ – ein para­no­ider Sound­track zur Selbst­aus­lö­schung im Kapi­ta­lis­mus, hart an der Grenze zum Zynismus.

Brennende Wut

Musi­ka­lisch schla­gen Pro­sti­tute alles kurz und klein. Gitar­rist Ross Bab­in­ski wühlt sich durch noi­sige Metal-Riffs, Drum­mer Andrew Kas­ter knüp­pelt gna­den­los auf sein Drum­set ein, Bas­sist Dylan Zar­an­ski wuch­tet die Songs in den Magen. Judge“ ist wütend und trei­bend, Sene­gal“ lässt sub­tile afri­ka­ni­sche Rhyth­men auf­schei­nen, M. Dada“ ver­beugt sich vor dem Absur­den. Selbst in lang­sa­me­ren, ruhi­ge­ren Tracks – In the Cor­ner Dunce“ oder dem epi­schen Finale Harem Induc­tion Hour“ – spürt man ihre Wut, aber sie ist nicht cool, son­dern bren­nend ernst. Sie rich­tet sich gegen Unter­drü­ckung in vie­len For­men: poli­tisch, kul­tu­rell, kör­per­lich und psy­chisch. Ihre Musik klingt, als wäre sie aus die­ser Wut geformt – roh, wider­sprüch­lich und gerade des­halb so glaubwürdig.

Ein Ausnahme-Debüt

Aller­dings gibt es mit Jou­mana Kay­rouz“ auch einen Track, in dem Khachab einer liba­ne­sisch-ame­ri­ka­ni­schen Anwäl­tin hul­digt, deren Lebens­weg als femi­nis­ti­sche Erfolgs­ge­schichte gele­sen wer­den könnte – aller­dings sind die Lyrics der­art sexu­ell auf­ge­la­den, dass sie mehr Fra­gen auf­wer­fen, als Ant­wor­ten zu geben. Attempted Mar­tyr“ ist ein Aus­nahme-Debüt: roh, unkon­trol­liert, aber selt­sam prä­zise in sei­ner Unschärfe. Pro­sti­tute sind keine Nach­ah­mer – in ihrer Härte und klang­li­chen Zer­stö­rung sind sie ein­zig­ar­tig im expe­ri­men­tel­len Punk.