Seit ihrer Gründung 1989 in Trondheim haben sich Motorpsycho zu einer der faszinierendsten und wandelbarsten Rockbands Europas entwickelt. Gründungsmitglieder sind Bent Sæther (Gesang, Bass), Hans Magnus „Snah“ Ryan (Gitarre, Gesang) und Kjell Runar „Killer“ Jensen (Schlagzeug), wobei Jensen kurz nach der Gründung durch Håkon Gebhardt ersetzt wurde. Was als Grunge- und Alternative-Rock-Projekt begann (Lobotomizer, 1991), entwickelte sich rasch zu einem vielseitigen Klangkosmos aus Psychedelic, Progressive Rock und Jazz-Elementen. Mit Alben wie „Demon Box“ (1993) und „Timothy’s Monster“ (1994) bewiesen sie früh ihre Experimentierfreude. Spätestens mit „Let Them Eat Cake“ (2000) und „Phanerothyme“ (2001) schlugen sie sanftere, jazzigere Töne an, bevor sie mit „Heavy Metal Fruit“ (2010) tief in den Prog-Rock eintauchten. Auf „The Death Defying Unicorn“ (2012) arbeiteten die Norweger mit dem Jazzmusiker Ståle Storløkken zusammen und wurden dafür von der Kritik gefeiert. Die Band entwickelte sich zunehmend zu einem Duo, da der Platz hinter den Drums zu einem Schleudersitz wurde und immer wieder neu besetzt werden musste. Die beiden festen Gründungsmitglieder hingegen blieben ihrem einzigartigen Stil treu, der verschiedenste Musikrichtungen vereint und bei Live-Auftritten oft in ausgedehnten Improvisationsreisen mündet. Nachdem Motorpsycho in den letzten dreißig Jahren weit über 50 Platten in unterschiedlichsten Formaten auf diversen Labels und Plattformen veröffentlicht hatten, verspürte die Band das Bedürfnis, selbst Überblick und Kontrolle über ihr Gesamtwerk zu behalten. So gründeten sie ihr eigenes Label NFGS, auf dem sie im Februar 2025 ihr neues, selbstbetiteltes Album veröffentlichten.
The day will come when The Beast is here
Textausschnitt aus „Neotzar (The Second Coming)“
and everything will turn
the earth will tremble, the ground will shake —
your towers will all burn
Nach zwei pandemiebedingten „Reaktionsalben“ (Yay! 2023 und Neigh!! 2024), einigen Non-Album-Singles und einer Compilation melden sich Motorpsycho – mittlerweile mit den Gründungsmitgliedern Bent Sæther und Hans Magnus Ryan zum Duo geschrumpft – im Februar 2025 mit einem epischen Doppelalbum zurück. Darauf loten die Norweger mit knackigen Drei-Minuten-Rockern, akustischen Intimitäten und 20-minütigen Prog-Epen erneut die gesamte Bandbreite ihrer musikalischen DNA aus. Der schlichte Albumtitel Motorpsycho könnte als Hinweis auf einen Neuanfang verstanden werden: Die Band hat sich von alten Strukturen befreit und veröffentlicht ihr Werk erstmals auf ihrem eigenen Label NFGS – in völliger Eigenverantwortung, mit maximaler künstlerischer Freiheit.
Jede Menge Gastmusiker*innen
Unterstützt wird das Duo von einer erlesenen Runde skandinavischer Musiker*innen – darunter die Drummer Ingvald Vassbø und Olaf Olsen, Violinistin Mari Persen, Sängerin Thea Grant sowie der langjährige Wegbegleiter Reine Fiske. Gemeinsam bewegt man sich im gewohnt kreativen Motorpsycho-Klangkosmos, der einmal mehr zwischen Experiment und Eingängigkeit, zwischen schwerstem Prog und zarten Melodien oszilliert. Produziert wurde das Album von der Band selbst in Zusammenarbeit mit dem norwegischen Künstler Helge Sten, der unter dem Namen Deathprod ein eigenes Ambient-Musikprojekt betreibt. Abgemischt wurde es von Andrew Scheps. Die dynamischen Arrangements, geprägt von ausufernden Instrumentalpassagen und vielschichtigen Klanglandschaften, machen das Album zu einer musikalischen Reise durch das Motorpsycho-Universum. Besonders beeindruckend ist die Vielseitigkeit der Songs: Während einige Stücke von roher Energie und impulsiver Spielfreude leben, tauchen andere tief in sphärische, fast tranceartige Passagen ein. Motorpsycho gelingt es einmal mehr, eine perfekte Balance zwischen Komplexität und Eingängigkeit zu wahren – ein Album, das sowohl langjährige Fans als auch Neuentdecker*innen in seinen Bann ziehen wird.
Ein Genre für sich
Ein echtes Highlight ist der eröffnende zehnminütige Track „Lucifer, Bringer of Light“, der mit hypnotischem Groove, dichten Soundwänden und filigranen Gitarrenlinien sofort in das musikalische Universum der Band hineinzieht. „Kip Satie“ dagegen ist eine zarte, rein instrumentale Piano-Ballade, die mit zweieinhalb Minuten für Motorpsycho-Verhältnisse ungewöhnlich kurz ausfällt. „Balthazaar“ verbindet über elf Minuten hinweg treibenden Prog mit Krautrock-Anleihen, während das epische „Neotzar (The Second Coming)“ mit über 20 Minuten Spielzeit eine wahre Achterbahnfahrt durch sämtliche progressiven Klanglandschaften bietet. Der Song beginnt mit schwebenden Vocals von Thea Grant, bevor er unter dem stoischen, präzisen Drumming von Ingvald Vassbø zu einem hämmernden Prog-Rocker mutiert. Motorpsycho durchbrechen mit jedem ihrer Songs spielerisch Genregrenzen. Diese Band folgt keinen Konventionen – sie prägt stattdessen ihr eigenes musikalisches Universum