Urs Weyerke & Oliver Eltinger
The Book of Love – 20 Love Songs
5. April 2025 • Heaven 7, Düsseldorf, Grafenberger Allee 145
Es gibt Songwriter, die schreiben Hits. Und es gibt Stephin Merritt – einen Musiker, der lieber kleine Songperlen über Herzschmerz, Queerness und romantischen Wahnsinn komponiert, als auch nur eine Sekunde nach Chartplatzierungen zu schielen. Als Kopf von The Magnetic Fields und diversen Nebenprojekten (The 6ths, Future Bible Heroes, The Gothic Archies) hat Merritt sich seit den frühen 90ern seinen ganz eigenen Platz in der Indie-Pop-Welt gesichert. Urs (Weyerke) hat den amerikanischen Songwriter schon früh für sich entdeckt. Und es war nur eine Frage der Zeit, wann er diesen Meister der ironischen Melancholie in seiner ihm ganz eigenen Art interpretieren würde. Heute ist es so weit. Als großer Fan von beiden lasse ich mir dieses Konzert nicht entgehen. Urs wird an diesem Abend von Gitarrist Oliver Eltinger unterstützt.
Ironischer Liebesreigen in 20 Akten
An diesem Abend im Heaven 7 spielen die beiden Düsseldorfer Musiker insgesamt zwanzig ausgewählte Lovesongs von Stephin Merritts The Magnetic Fields – wobei die Auswahl nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, ausschließlich aus Merritts Opus Magnum von 1999 stammt, jenem legendären Dreifach-Album „69 Love Songs“, dessen Titel klingt wie ein Witz (und unweigerlich auch Assoziationen an eine spezielle Sexstellung weckt). Doch an diesem Abend steht die reine Liebe im Mittelpunkt. Und so wandern die beiden Performer quer durch Merritts Songbook – mit einer feinfühligen Auswahl, die das Sujet in all seinen Facetten präsentiert: sehnsüchtig und schmachtend, schmerzlich und ablehnend, mit viel Ironie, einer Prise Romantik und ganz viel Haltung. Passenderweise eröffnen sie den Abend mit dem Stück „The Book of Love“, das mit der Zeile beginnt: „The book of love is long and boring“ – nur um uns im Verlauf des Konzerts vom Gegenteil zu überzeugen.
Eigene Songperlen, ganz im Sinne des Originals
Was folgt, ist ein tiefgründiger, ungemein humorvoller und niemals langweiliger Konzertabend. Zwischen augenzwinkerndem Witz, herzzerreißender Melancholie und lakonischem Sarkasmus nehmen uns die beiden mit in die Welt dieses brillanten und eigenwilligen amerikanischen Songwriters – so authentisch, dass man ihnen ihre Perspektive auf Merritts Songs sofort abkauft. Es sind nicht nur Merritts Originaltexte, die verführen, irritieren, zum Lachen bringen oder zum Nachdenken anregen – es ist auch die ganz eigene Interpretation der beiden Musiker, die das Spiel mit Worten ebenso schätzen wie die musikalische Vielfalt. Sie treffen den richtigen Ton für Merritts oft skizzenhafte, pointierte Songs – und formen daraus, ganz in seinem Sinne, eigene kleine Songperlen. Urs bestimmt dabei nicht nur mit seinem Keyboard den Sound des Abends, sondern führt das Publikum kenntnisreich und mit charmanten Anekdoten durch das Programm. Oliver begleitet ihn mit einer halbakustischen Gretsch-Gitarre, deren helle, twangige Töne geschmeidige Melodiebögen zaubern und so ein wenig Americana-Feeling verströmen oder mit warmem, sattem Klang das Songwriting unterfüttern. Einer der Höhepunkte des Abends: „Andrew in Drag“. Statt – wie sonst oft bei Merritt – Geschlecht und sexuelle Präferenz bewusst offen zu lassen, schlüpft das „lyrische Ich“ (wie Urs es formuliert) hier in die Rolle eines heterosexuellen Mannes, der plötzlich Gefühle für einen Typen namens Andrew entwickelt – als dieser in Frauenkleidern auftritt. „An das Schreiben des Textes kann sich Merritt übrigens nicht erinnern“, weiß Urs zu berichten. „Er fand den Text am Morgen nach einer durchzechten Nacht in seinem Notizbuch.“
Immer den richtigen Ton
Auch bei „Queen of the Savages“ trifft Urs den Ton: Mit einem Augenzwinkern fordert er das Publikum auf, Merritts Zeile „You should see the things we see when we smoke“ bildlich mitzuerleben, trällert launisch den Refrain und übersetzt zwischendurch frei ins Deutsche – und man glaubt ihm jedes Wort, weil er spürbar fühlt, was er singt. Die Stimmung der Songs changiert dabei ständig: bittersüß, schwermütig, spöttisch, verspielt, romantisch, desillusioniert – und die beiden Musiker bringen all das punktgenau auf die Bühne. Wenn es der Song verlangt, greift Oliver auch mal zu den Jazz-Besen und streicht die Snare mit lässiger Leichtigkeit. Neben den angekündigten zwanzig Lovesongs, gibt es zum Schluß noch eine kleine Zugabe unter anderem mit einer Huldingung an „The Biggest Tits in History“ – Schwerenöter mögen dabei gleich an weibliche Körperteile denken, dabei werden lediglich schwergewichtige Meisen (Tits) besungen. Am Ende steht ein ebenso unterhaltsamer wie inspirierender Konzertabend, der nicht nur für sich allein glänzt, sondern auch Lust macht, die Originale wieder aus dem CD-Regal zu holen – oder endlich mal alle 69 Love Songs komplett durchzuhören.


