One to One: John & Yoko
Regie: Kevin Macdonald
Genre: Dokumentarfilm
Länge: 101 min
Filmstart: 26. Juli 2024
„One to One: John & Yoko“ kein gewöhnlicher Musikfilm. Die Dokumentation aus dem Jahr 2024 unter der Regie von Kevin Macdonald und Sam Rice-Edwards zündet ein visuelles Gewitter, das sich tief in die Netzhaut brennt. Im Zentrum steht das gleichnamige Benefizkonzert vom 30. August 1972 im Madison Square Garden – Lennons erster und zugleich letzter kompletter Solo-Gig nach den Beatles. Die Aufnahmen wurden aufwendig restauriert, klingen frischer denn je und sind elektrisierend – allen voran die furiose Version von „Come Together“.
Keine klassische Musikdoku
Doch Macdonald wollte mehr als ein bloßes Konzertdokument. Die Energie dieser Ära, ihre Widersprüche und Umbrüche – das alles sollte spürbar werden. Also tauchte er tief in die Archive ein und förderte ein wildes Sammelsurium an Material zutage: US-Werbespots mit Tupperware und Cadillacs, Bilder vom Vietnamkrieg, von der Attica-Gefängnisrevolte, von Nixon mit seinem trügerischen Lächeln. All das schneidet er zu einem filmischen Fiebertraum, der zwischen Homevideo und Revolution, Kunst und Politik pendelt.
Lennon unplugged – ein Rockstar auf Sinnsuche
Der Film zoomt in die kurze, aber intensive New Yorker Phase von Lennon und Yoko Ono Anfang der 1970er. Frisch aus London angekommen, ziehen sie in ein Zwei-Zimmer-Apartment im kreativen Epizentrum Greenwich Village. Dort treffen sie auf politische Köpfe wie Jerry Rubin und die „Youth International Party“ – ein Netzwerk aus Aktivismus, Kunst und Aufbruchsstimmung. Für den Film rekonstruierte Macdonald sogar die Wohnung detailgetreu, um mit der Kamera immer wieder darin einzutauchen: Gitarren, Schallplatten, ein riesiger Aschenbecher, ein stets flimmernder Fernseher – das ikonische Bett, auf dem das Paar sich so oft fotografieren ließ, fehlt natürlich auch nicht. Und mittendrin: ein befreiter, neugieriger, fast überdrehter John Lennon, der sich aus dem Beatles-Kokon geschält hat und stark politisiert die Welt verändern will.
Ohne Kommentar – und gerade deshalb so stark
Der Film verzichtet bewusst auf klassische Interviews oder Off-Kommentare. Stattdessen stehen TV-Ausschnitte, Originalinterviews, Homevideos und heimlich aufgezeichnete Telefonmitschnitte – Lennon zeichnete sie aus Paranoia oder Weitblick selbst auf – gleichwertig und unkommentiert nebeneinander. Alles verschmilzt zu einem kaleidoskopartigen Zeitporträt, das nicht erklärt, sondern erleben werden muss. Ein Running Gag durchzieht diese wilde Filmmontage: Yoko Onos Versuch, für ein Kunstprojekt 1.000 Fliegen aufzutreiben. Was zunächst wie eine absurde Randnotiz wirkt, entpuppt sich als Kommentar auf die oft skurrile, aber ernsthafte Verbindung von Kunst und politischem Engagement, für die das Paar stand.
Yoko: Mehr als nur „die Frau an seiner Seite“
Lange scheint Yoko Ono im Film etwas in den Hintergrund gedrängt – als Sidekick des charismatischen Ex-Beatle. Erst gegen Ende dreht sich das Bild. Anlass ist ihr Auftritt auf der Ersten Internationalen Feministischen Konferenz an der Harvard University im Juni 1973. Hier spricht sie offen über Sexismus, ihre Reduktion auf „Johns Frau“ und über rassistische Anfeindungen, die sie ertragen musste – „ugly Jap“ nannten sie manche Medien. Spätestens hier wird klar: Ono ist keine Randfigur. Sie ist Künstlerin, Aktivistin, Liebende. Kein Sündenbock für den Beatles-Split, sondern eine eigenständige Kraft – verletzlich, reflektiert, unbeirrbar. Ihr Song „Looking Over From My Hotel Window“ fasst ihre Gefühle zusammen: „Age 39, looking over from my hotel wind, Wondering if one should jump off or go to sleep. People tell you up is better than down, But they never tell you which is up and which is down.“
Kunst, Politik und ein Kinderheim
Der Film findet seinen emotionalen Höhepunkt in der Verbindung von Kunst und Engagement: Das „One to One“-Konzert war nicht nur ein musikalisches Ereignis, sondern ein Benefizabend für das Willowbrook-Kinderheim – eine damals skandalös vernachlässigte Einrichtung für Kinder mit Behinderungen. Lennon und Ono sammelten Gelder, um jeder*m Kind eine bessere Versorgung zu ermöglichen. Aktivismus mit echtem Impact.
Kein Denkmal – sondern ein vibrierendes Zeitfenster
„One to One“ will kein Denkmal setzen. Es will pulsieren, lodern, überraschen. Wie ein durchgedrehter Fernsehabend mit politischen Untertönen. Wie ein Fenster in eine Ära, in der Musik noch geglaubt hat, die Welt retten zu können. Und vielleicht auch konnte. Macdonald und Rice-Edwards liefern kein aalglattes Biopic, sondern ein Kapitel Popgeschichte mit Ecken, Kanten – und verdammt viel Herz. Ein Muss für Beatles-Fans. Und für alle, die wissen wollen, wie laut und schön Vergangenheit sein kann.