Godspeed You! Black Emperor
19. April 2023 • Übel & Gefährlich, Hamburg
Ich habe „Godspeed You! Black Emperor” bereits 2016 im Gloria in Köln gesehen, damals war es ihre „Asunder, Sweet and Other Distress”-Tour und es war eine definitiv nachwirkende Show. Als sie sich 2022 wieder ankündigten, war klar, dass ich dabei sein wollte. Ok, das ist dann ausgefallen, jetzt also am 18. April 2023 in der Kantine Köln. Was soll ich sagen, ich war zu spät — ausverkauft… Gabi, die meine Texte hier Korrektur liest, kannte also auch meine Konzertseite, und meinte: „Fahr doch nach Hamburg, da spielen die doch auch.” Tolle Idee! Hier also ein kleiner Eindruck des Konzerts im Übel & Gefährlich. Noch kurz zur Band: Godspeed You! Black Emperor, kurz GY!BE, haben sich 1994 in Montreal, Québec gegründet und sind tief eingebettet in ihr regionales musikalisches Umfeld und das Label „Constellation Records“. Die derzeit achtköpfige Band vetritt, obwohl immer nur rein instrumental, offen einen extrem linkspolitischen, antikapitalistischen und gesellschaftskritischen Standpunkt, daher hier als Einstieg ein Ausschnitt aus den Linernotes des aktuellen Albums:
this record is about all of us waiting for the end.
Intro-Text zum Album „G_d’s Pee at State’s End!“
all current forms of governance are failed.
this record is about all of us waiting for the beginning,
and is informed by the following demands=
empty the prisons
take power from the police and give it to the neighbourhoods that they terrorise.
end the forever wars and all other forms of imperialism.
tax the rich until they’re impoverished.
Unerwarteterweise hat GY!BE noch ein Vorprogramm: Die aus Portland stammende Komponistin und virtuose Gitarristin Marisa Anderson zieht das Publikum allein mit ihrem Gitarrensound in ihren Bann. Ohne Worte wollen ihre Songs Geschichten erzählen, so „erzählt“ sie eine halbe Stunde mittels E‑Gitarre über ihre Heimat in Oregon, beschreibt ihre jüngere Schwester oder beschwört die Toten. Das Ganze kann dann wie ein elektrifizierter Blues daherkommen, hat mal stark mexikanische Einflüsse oder vertont einen Tango, dabei tauchen immer wieder bekannte Phrasen mit klaren Melodie- und Formverläufen auf. Zu jedem ihrer Instrumentals gibt sie kurze Anmerkungen und Erklärungen — ihr letzter heisst „King Of The Garden“ und es geht um einen Vogel, der in ihrem Garten wohnt. Dann wird das Mikro beiseite geräumt und damit sind ihre Worte die letzten, die an diesem Abend auf der Bühne gesprochen werden.
Gegen zehn Uhr setzt dann eine mehr oder weniger vertraute Geräuschspur an, ein erster Hinweise, dass GY!BE nun endlich starten wollen. Nach und nach erscheinen die Musiker*innen. Zunächst tauchen die barfüssige Geigerin Sophie Trudeau und Thierry Amar mit seinem Kontrabass auf — später spielt er auch E‑Bass. Weitere sechs Musiker werden noch folgen: Die beiden Schlagzeuger Timothy Herzog und Aidan Girt, die Gitarristen Efrim Menuck, David Bryant und Michael Moya sowie Bassist Mauro Pezzente. Insgesamt drängt man sich also zu acht auf der kleinen Bühne. Es folgen über eineinhalb Stunden Power und Intensität. Den Anfang macht das 22minütige „Storm/Hope Drone“ vom 2000er Album „Lift Your Skinny Fists Like Antennas to Heaven“, dabei startet wie bei all ihren Live-Konzerten die düstere, endzeitige Filmprojektion mit dem Wort HOPE — die Band zählt auch den 16mm-Filmprojektor als Bandmitglied -, abgespielt von drei Projektoren, deren Filmrollen teilweise händisch gedreht werden. Mit „First of the Last Glaciers” und „Cliffs Gaze“ stammen zwei der insgesamt sechs Tracks von ihrem aktuellen Album „G_d’s Pee at State’s End!“. Musikalisch bewegt sich der Sound erwartbar zwischen sich langsam aufbauenden und wieder abbauenden Arrangements mit einfach überwältigenden Soundwänden. Lautstärke und Dynamik machen die Vorstellung zu einem nahezu physischen Erlebnis. Die vier- bis zwölfsaitigen Instrumente werden gestrichen, geschlagen oder gezupft und selbst die Becken des Schlagzeug werden gelegentlich mit dem Bogen bearbeitet, wobei die Gitarristen im Sitzen spielen, um ihre Batterien an Effektgeräten besser bedienen zu können. Lediglich der Metalhead im Publikum rechts neben mir, der immer wieder unmotiviert die Arme zum Metallergruß hochreißt, irritiert mich etwas. Die linker Hand neben mir stehende junge Frau, die sich im trancigen Ausdruckstanz übt, um dann unvermittelt in heftigstes Headbanging überzugehen, tut ihr übriges. Aber ich sehe mit euphorisch verzücktem Gesichtsausdruck sicher auch nicht besser aus. Alle scheinen also bei diesem eindrucksvollen, epischen und bombastischen Sound auf ihre Kosten zu kommen. Am Ende verlassen die Musiker die Bühne wie sie gekommen sind, jeder einzeln und wortlos, dabei intonieren die zurückgelassenen Instrumente eine endlose, kakophonische Rückkoppelung, während die Projektoren von Hand gebremst werden, so dass die Filmrollen schmelzen, Blasen werfen und verglühen. Es qualmt mächtig an den Projektoren. So endet eine weitere Godspeedsche Klangsinfonie äußerst effektvoll in einer gewohnt gigantischen Entladung.
Der Trip nach Hamburg hat sich also voll und ganz gelohnt — und das nicht nur wegen dieses einzigartigen Klangerlebnisses. Nach sehr, sehr langer Zeit habe ich mal wieder meinen alten Freund Eberhard getroffen — in Christian Pfaffs Galerie „Oberfett“ anläßlich einer Podiumsdiskussion zum Thema KI und Kunst. Dazu hatte ich noch Gelegenheit, mit Olaf und Teelke und deren Freund Linus, der gerade mit Tori Amos als Tour-Fahrer unterwegs war, in dem netten Restaurant Le Su zu speisen. Auch empfehlenswert: Die Ausstellung „The F*word – Guerrilla Girls und feministisches Grafikdesign“ im MK&G — also Hamburg, gerne wieder.