Amyl and The Sniffers

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In Aus­tra­lien wird die Schnüf­fel-Droge Pop­pers auch Amyl genannt. In den 1970er Jah­ren wurde sie vor allem von Män­nern, die Sex mit Män­nern haben, als Sex-Droge kon­su­miert. Heute gel­ten Pop­pers in ers­ter Linie als Par­ty­droge. Amy Tay­lor, aus dem aus­tra­li­schen Mul­lumb­imby – einer Stadt, die sich selbst als „hippy town“ bezeich­net – grün­det nach ihrem Umzug nach Mel­bourne zusam­men mit Gitar­rist Dec Mehr­tons, Drum­mer Bryce Wil­son und Bas­sist Calum New­ton eine Pub-Punk-Band. Was lag da näher, als sie in Anleh­nung an die Schnüf­fel­droge Amyl and The Snif­fers zu nen­nen?
Die erste EP des Quar­tetts, „Giddy Up“, schrei­ben und pro­du­zie­ren Tay­lor und ihre Mit­strei­ter 2016 in nur 12 Stun­den und ver­öf­fent­li­chen sie direkt am nächs­ten Mor­gen. Rück­bli­ckend gesteht Tay­lor, dass die Band­mit­glie­der zu die­sem Zeit­punkt ihre Instru­mente noch nicht ein­mal rich­tig beherrsch­ten. Punk halt. Schon deut­lich sat­tel­fes­ter prä­sen­tie­ren sie sich auf ihrem Debüt­al­bum „Flight­less“ aus dem Jahr 2019. Mit „Com­fort to Me“ rei­fen sie musi­ka­lisch wei­ter, und auf ihrem drit­ten Album „Car­toon Dark­ness“ aus dem Jahr 2024 klin­gen sie schließ­lich voll­kom­men ausgereift.

Amyl and The Sniffers, Cartoon Darkness

Amyl and The Sniffers

Cartoon Darkness

Ver­öf­fent­licht: 25. Okto­ber 2024
Label: B2B/Roughrade

You’re a dumb cunt, you’re an asshole
Every time you talk, you mumble, grumble
Need to wipe your mouth after you speak

Text­aus­schnitt aus „It’s Mine“

Was für ein Ein­stieg in das dritte Album der female-fron­ted Punk­rock-Band Amyl and The Snif­fers: „You’re an ass­hole … I am hot always … Don’t wanna be stuck in that nega­ti­vity.“ Mit einem lau­ten, wüten­den Auf­schrei geht es direkt in die Eröff­nungs-Dreck­schleu­der „Jer­kin“. Schnell wird klar: Har­ter, schnel­ler Punk ist immer noch die beste Aus­drucks­form, um gegen den Welt­re­si­gna­ti­ons­mo­dus anzu­schreien. Es geht um Krieg, Kli­ma­krise und künst­li­che Intel­li­genz, um Poli­tik und Sexis­mus. Doch um nicht voll­ends zu ver­zwei­feln, darf bei die­sem Lamento eine ordent­li­che Por­tion Spaß nicht feh­len – denn wer weiß, wie lange wir den noch haben wer­den. Also los geht’s: mit Stark­strom-Riffs, pul­sie­ren­den Bass­li­nes und trei­ben­dem Drum­ming. Immer im Zen­trum des Gesche­hens: Sän­ge­rin Amy Tay­lor mit ihrer kraft­vol­len, rauen Stimme. Sie ver­sprüht eine unge­zü­gelte, rebel­li­sche Ener­gie, die an die Urge­walt frü­her Punk-Iko­nen erin­nert. Doch man sollte nicht der Ver­su­chung erlie­gen, die Aus­strah­lung der Band allein auf die Front­frau zu redu­zie­ren. Dec Mehr­ton beweist sein erst­klas­si­ges Gitar­ren­spiel nicht nur in den Tracks „Che­wing Gum“ und „Pigs“. Bryce Wil­son zeigt ein aus­ge­präg­tes Funk- und Groove-Fee­ling, wäh­rend Bas­sist Calum New­ton den pum­pen­den Punk­beat schein­bar in sei­ner DNA trägt. Gemein­sam prescht die Band mit unge­heu­rer Rock-Ener­gie nach vorn und ver­mischt Punk mit Glam-Rock, Speed-Metal und Pub-Rock.

Immer auf die Zwölf? Nicht nur!

Die Gefahr, als kra­wal­lige Ber­ser­ker abge­stem­pelt zu wer­den, umgeht das Quar­tett, indem es gele­gent­lich auch zar­tere Töne anschlägt und die Geschwin­dig­keit dros­selt. Tat­säch­lich gewin­nen diese nach­denk­li­che­ren Tracks dadurch eine unge­ahnte Dring­lich­keit und unter­schwel­lige Gefähr­lich­keit. „Big Dream“ ist so ein Song: eine stür­mi­sche Bal­lade über die Ent­täu­schung, wenn bunte Jugend­träume im grauen All­tag zer­plat­zen – „Ano­ther bir­th­day and ano­ther year older.“
Im Schluss­track „Me & The Girls“ zei­gen sich die Aus­sies noch ein­mal von einer ganz ande­ren Seite: Mit ver­hal­te­nem Voco­der-Effekt tau­chen sie tief in New-Wave-Sounds und wecken Erin­ne­run­gen an Blon­die. So zie­hen sie alle Regis­ter in ihrem über­schau­ba­ren, aber mar­kan­ten Mikro­kos­mos und über­zeu­gen mit Spiel­freude und unbän­di­ger Ener­gie. „Car­toon Dark­ness“ besticht durch seine grobe Ein­fach­heit. Man fühlt sich dabei wie­der sehr jung – oder wird daran erin­nert, wie es sich anfühlte.
Amyl and The Snif­fers trans­por­tie­ren den wil­den Spi­rit der spä­ten 70er Jahre in die Neu­zeit, ohne dabei ana­chro­nis­tisch zu wir­ken. Solange sol­che Bands noch ent­ste­hen und bestehen, muss einem nicht bange wer­den vor einer gitar­ren­lo­sen, spaß­be­frei­ten Welt.