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Anika

Durch­schnitt­li­che Lese­dauer 3 Minu­ten

Anika (geb. Annika Hen­der­son, 6. Februar 1987 in Surrey, UK) ist eine bri­tisch-deut­sche Musi­ke­rin, Pro­du­zen­tin und Künst­le­rin, die sich mit ihrer kom­pro­miss­lo­sen Ästhe­tik und unver­kenn­ba­ren Stimme einen fes­ten Platz in der Schnitt­menge aus Post-Punk, Dub, Avant-Elec­tro­nica und poli­ti­schem Pop geschaf­fen hat. Bevor sie zur Musik kam, arbei­tete sie als poli­ti­sche Jour­na­lis­tin – ein Hin­ter­grund, der in ihren Tex­ten spür­bar bleibt: kon­fron­ta­tiv, mehr­deu­tig, bewusst unkom­for­ta­bel. Ihr selbst­be­ti­tel­tes Debüt­al­bum (2010), pro­du­ziert von Geoff Bar­rows Band Beak>, wurde zur Under­ground-Sen­sa­tion – mini­ma­lis­tisch, kühl und dabei zutiefst hyp­no­tisch. Cover­ver­sio­nen von Yoko Ono, Bob Dylan oder Ray Davies ver­schmol­zen mit eige­nen Songs zu einem Sound, der an frühe Nico, Broad­cas­ting-Stör­ge­räu­sche und Dub-Echo-Räume erinnert.Anika blieb keine Soli­täre. Ihre Zusam­men­ar­beit mit Grö­ßen wie Michael Rother (Neu!), Tri­cky oder Yann Tier­sen zeugt von ihrer Wand­lungs­fä­hig­keit – ohne sich je anzu­bie­dern. 2021 kehrte sie mit Change“ zurück, einem düs­ter-poli­ti­schen Album zwi­schen Frag­ment und Hoff­nung. 2025 folgte Abyss“, ein kra­chi­ge­res, grung­i­ge­res Statement 

Anika, Abyss

Anika
Abyss

Ver­öf­fent­licht: 4. April 2025
Label: Sacred Bones Records

Callused and burning, the stations are holding pens
For those who fell through
We’re still divided by different walls
Now there’s flying cars and greasing palms

Text­aus­schnitt aus One Way Ticket“

Abyss“, das neue Album von Anika, mar­kiert eine radi­kale Abkehr von ihrem bis­he­ri­gen Sound. Wo frü­her elek­tro­ni­sche, Dub- oder Post-Punk-Ele­mente domi­nier­ten und Syn­the­si­zer eine ambi­ent­ar­tige Atmo­sphäre schu­fen, klingt Abyss“ nun wüten­der, kla­rer – und freier. Anikas Stimme, irgendwo zwi­schen Nico und Notwist, zwi­schen ent­rück­tem Stoi­zis­mus und heim­li­cher Rebel­lion, bleibt dabei ihr unver­wech­sel­ba­res Zen­trum. Ihr ent­rück­tes, distan­zier­tes Eng­lisch mit schwe­rem Akzent wirkt wei­ter­hin eigen­tüm­lich hyp­no­tisch – ein Stil­mit­tel, keine Hürde.

Ungewohnter Noise

Doch der Sound hat sich hör­bar ver­än­dert: Abyss“ ist ein bro­deln­der, lodern­der Stru­del aus Noise, Post-Punk, Grunge und rot­zi­gem Indie-Rock. Ein Abgrund, in den man sich gern stürzt – und in dem man zu tan­zen beginnt. Schon der Ope­ner Hear­say“ über­rascht mit sägen­den Gitar­ren, häm­mern­den Bass­li­nien und einem dre­cki­gen Sound, der spür­bar unter die Haut geht. Der Text the­ma­ti­siert Fehl­in­for­ma­tio­nen und mediale Des­in­for­ma­tion – ein Thema, das die ehe­ma­lige poli­ti­sche Jour­na­lis­tin Anika mit unüber­hör­ba­rer Dring­lich­keit ins Mikro­fon schleu­dert. Im fol­gen­den Titel­track wer­den die Grunge-Anlei­hen dann unüber­hör­bar – nicht zuletzt durch den Refrain Come as you…“, der als sub­tile Reve­renz an Nir­vana gele­sen wer­den kann. Auch Honey“ ist eine ener­gie­ge­la­dene Hymne, geprägt von ver­zerr­ten Gitar­ren und exis­ten­zi­el­ler Wut – the­ma­tisch geht es um die toxi­schen Dyna­mi­ken unge­sun­der Bezie­hun­gen. Diese greift Anika in Out of the Shadows“ noch direk­ter auf – ein pun­ki­ger, femi­nis­ti­scher Befrei­ungs­schlag: I don’t want your opi­ni­ons, I don’t want your advice, I don’t need super­vi­sion, I don’t want to be nice!“

Persönliches und Politisches

Mit One Way Ticket“ folgt ein nicht min­der poli­ti­sches State­ment – ein wüten­der Pro­test­song gegen den Auf­stieg faschis­ti­scher Ten­den­zen. Aber Anika lie­fert auch einige sehr intime und ehr­li­che Texte. In Walk Away“ gesteht sie: Die Wahr­heit ist, dass ich mich selbst nicht wirk­lich mag /​Und die Wahr­heit ist, dass ich nie­man­den sonst wirk­lich mag.“ Zu dem einer recht offe­nen, fröh­li­chen Instru­men­tie­rung heißt es zum Ende des Tracks Some­ti­mes I know life can just suck“. In dem stür­mi­schen Oxy­gen“ hin­ter­fragt sie die Iden­ti­tät von Pop­stars und Influencer*innen mit ihren kura­tier­ten Selbst­dar­stel­lun­gen – zuge­schnit­ten und aus­ge­stal­tet für ein bestimm­tes Publi­kum, redu­ziert auf Bil­der, Likes, Mar­ken. Last Song“ wirkt, als sei hier das Album bereits am Ende ange­kom­men – bevor mit But­ter­cups“ ein über­ra­schend sanf­ter, fast ver­söhn­li­cher Aus­klang folgt. Hier beschwört Anika posi­tive Erin­ne­run­gen und zeigt eine ver­letz­li­chere Seite – ein melan­cho­li­scher Licht­strahl im lär­men­den Nebel.

Ungefiltert und live

Das Album wurde in nur weni­gen Tagen live in den legen­dä­ren Ber­li­ner Hansa Stu­dios auf­ge­nom­men. Die rohe Ener­gie wurde mit mini­ma­len Over­dubs ein­ge­fan­gen – und das hört man in jedem Takt. Die Band – bestehend aus Andrea Belfi, Tomas Nocht­eff, Law­rence Good­win und dem uner­setz­li­chen Mar­tin Thulin – spielt direkt, rau und mit mes­ser­schar­fer Prä­zi­sion. Keine glat­ten Über­gänge, keine digi­ta­len Luft­pols­ter – statt­des­sen: Hall, Feed­back, Feh­ler, Prä­senz. So sind zehn ein­dring­li­che, mit­rei­ßende Tracks ent­stan­den, die von inten­si­ven Emo­tio­nen getra­gen wer­den. Abyss“ ist nicht nur musi­ka­lisch, son­dern auch ästhe­tisch ein State­ment – gegen Hoch­glanz, gegen Per­fek­tion, gegen Gleich­gül­tig­keit. Viel­leicht ist genau das die Essenz die­ses Albums: Nicht gefal­len zu wol­len. Nicht zu glät­ten. Nicht zu erklä­ren. Son­dern ein­fach da zu sein – roh, wütend, vol­ler Liebe. Und das reicht vollkommen.