Jazz meets Electronic meets Postrock

Byggesett Orchestra

12. April 2024 • Messajero, Mönchengladbach

Die Mön­chen­glad­ba­cher Band Byg­ge­sett Orches­tra hat für ihr neues Album „Poems About Ever­y­thing“ über die Crowd­fun­ding-Platt­form Start­next um finan­zi­elle Unter­stüt­zung gebe­ten. Auch wenn der Auf­ruf nicht ganz so erfolg­reich ist wie gedacht, rea­li­siert die Band das Album und stellt das Ergeb­nis in Kom­plett­be­set­zung im Mess­a­jero, Mön­chen­glad­bach vor. Natür­lich bin ich dabei – zumal mich als Unter­stüt­zer eine umfang­rei­che, lie­be­voll gestal­tete Box mit dem neuen Album sowie der CD-Son­der­edi­tion „Across Divi­des“ erwartet.

Perfekter Einstieg

Das Byg­ge­sett Orches­tra, bestehend aus Georg Sehr­b­rock (Key­boards, Elec­tro­nics), Peter Kör­fer (Bari­ton-Bass, Elec­tro­nics), André Has­sel­mann (Schlag­zeug) und Mar­kus Türk (Trumpet), star­tet sein Set mit dem Track „Lisa M.”, ein Titel, der auch regel­mä­ßig aus mei­nen hei­mi­schen Boxen schallt. Jetzt hier in der Live-Ver­sion kommt er noch dyna­mi­scher, rauer und direk­ter daher. Zunächst baut sich eine seichte, tran­cige Ambi­ent-Flä­che auf, über die sich ab und an eine wun­der­schöne, ver­lo­rene Key­board­me­lo­die legt. Irgend­wann gesellt sich die Trom­pete kla­gend hinzu, Sprach-Samples wer­den ein­ge­streut, rhyth­misch plun­kern die Drums dazu. Das Publi­kum wiegt sich seicht im Takt. Die Drums wer­den kom­ple­xer und for­dern­der, die Trom­pete setzt immer deut­li­chere Akzente, wird jaz­zi­ger, sphä­risch röh­ren­der Gitar­ren­sound taucht auf und ganz lang­sam stei­gert sich das Zusam­men­spiel des Quar­tetts zu einem herr­li­chen, rhyth­mi­schen Sound-Inferno.

Angenehm wärmend bis dramatisch heiß

Nach die­sem per­fek­ten fast fünf­zehn-minü­ti­gen Kon­zert-Ein­stieg skiz­ziert Georg Sehr­b­rock kurz die Ent­ste­hung des Albums und kün­digt an, dass die Band alle fünf Tracks des Albums nun prä­sen­tie­ren wird – im Ein­zel­nen: Sand, Ochre, Coral, Mauve und Teal. Wenn ich das rich­tig inter­pre­tiere, sind dies alle­samt Bezeich­nun­gen für soge­nannte warme Far­ben, denen man bei Betrach­tung all­ge­mein ange­nehm wär­mende bis dra­ma­tisch heiße Wir­kung nach­sagt. Und tat­säch­lich trifft es das, was musi­ka­lisch nun folgt, sehr gut. Mit ihrem neuen Album bleibt die Band zwar fest in ihren Struk­tu­ren ver­an­kert, bewegt sich aber noch ein biss­chen mehr Rich­tung Fusion-Jazz — ihr Sound ist nun noch viel­fäl­ti­ger und freier. Die Ambi­ent- und Mini­mal-Ein­flüsse sind immer noch deut­lich zu spü­ren, aber die Art und Weise, wie die vier Musi­ker hier agie­ren, ist ein­fach phan­ta­tisch, über­bor­dend. Alle sind glei­cher­ma­ßen vir­tuose Solis­ten und weit­ge­hend gleich­be­rech­tigt, selbst André Has­sel­manns tro­ckene, wuch­tige Drums geben nicht nur prä­zise Takt und Rhyth­mus vor, son­dern agie­ren eben­falls trei­bend als Solo­in­stru­ment und ste­hen damit im leben­di­gem Kon­trast zu den kno­chi­gen Pat­terns der Drum-Machi­nes. Der Bass mäan­dert mit viel Pedal zwi­schen pschy­che­de­li­schen Klang­land­schaf­ten, herr­lich ver­zerr­tem Fuzz bis zu straigh­ten Rock-Riffs. Dass der Abend den­noch nicht in einer kako­pho­ni­schen Sound­or­gie endet, liegt an der hohen Musi­ka­li­tät der Band­mit­glie­der und dem fast schon blin­den musi­ka­li­schen Ver­ständ­nis für­ein­an­der, was gerade bei den vie­len jam­ar­ti­gen Impro­vi­sa­tio­nen deut­lich wird. So sto­ßen kraft­volle Dro­nes auf ele­gante Loops, wun­der­schöne E‑Piano-Melo­dien auf sphä­ri­sche Riffs und radi­kale Per­cus­sions, tran­ci­ger Mini­mal-Ambi­ent auf harte Rock­rhyth­men, wäh­rend die Trom­pete von Free Jazz bis Big Band alle Regis­ter zieht. So gewinnt auch der Band­name an Bedeu­tung: Er kommt aus dem Schwe­di­schen und bedeu­tet soviel wie „Bau­kas­ten-Orches­ter“ — und die­ser Live-Auf­tritt unter­streicht aufs Beste, wie per­fekt die Band die vie­len, musi­ka­li­schen Bestand­teile und Gen­res homo­gen zu einem Gan­zen zusam­men­fügt. Für einen klei­nen Pat­zer und Lacher wäh­rend des Auf­tritts sorgt Peter Kör­fer dann doch: Als er allzu forsch in den letz­ten Track ein­steigt, bemerkt er tro­cken: „Mein ver­stor­be­ner Vater sagte immer, kein Mensch ist unnütz, er kann immer noch als schlech­tes Bei­spiel die­nen.“ Als Zugabe spielt die Band noch den etwas älte­ren Track „p42.1“ und da das begeis­terte Publi­kum noch mehr will, ent­lässt sie uns ohne Schlag­zeug zum Trio geschrumpft mit einem klei­nen Lul­laby in die Nacht.

Zu Hause ange­kom­men, schauen Gabi und ich uns dann noch die Kul­tur­sen­de­nung aspekte an, erwäh­nens­wert des­halb, weil die Sen­dung der Frage nach­geht, warum an der Digi­ta­li­sie­rung der Musik-Bran­che nur die wirk­lich Gro­ßen ver­die­nen und was das für „Nischen-Musik“ zur Folge hat – sehr sehens­wert. Aus­führ­lich zu Wort kommt Her­bert Grö­ne­meyer, bei des­sen Live-Auf­trit­ten auch Peter Kör­fer zuwei­len mit­wirkt. So schließt sich der Kreis…

Wer das neue Album noch nicht sein/ihr eigen nennt, aber nach die­sem kur­zen Kon­zert­be­richt „ange­fixt“ ist, fin­det unter die­sem Link wei­tere Infos.