Caspar Brötzmann zählt zu den kompromisslosesten Gitarristen und Klangarchitekten Europas. Geboren 1962 in Wuppertal, aufgewachsen im Schatten (und Licht) seines Vaters, des Free-Jazz-Pioniers Peter Brötzmann, entwickelt er früh eine eigene musikalische Sprache – laut, kantig, unversöhnlich. Mit seinem Trio Massaker entwickelt er einen brachialen, unverwechselbaren Gitarrensound – geprägt vom Einsatz eines eigens konzipierten VAR-Verstärkersystems, das seinen Sound bis an die Schmerzgrenze verzerrt und dem Feedback eine eigene Stimme verleiht. Für Brötzmann ist der VAR kein technisches Hilfsmittel, sondern ein integraler Teil des Instruments. Nach langen Jahren der Stille meldet sich die Band 2025 mit „It’s a Love Song“ zurück – einem düsteren, live aufgenommenen Statement zur Gegenwart: rau, intensiv und aktueller denn je.
We are peaceful people And we have enough From all this violence Where is my hope
Textausschnitt aus „All this Violence“
Eigentlich war für Mai 2025 ein neues Studioalbum von Caspar Brötzmann Massaker angekündigt, die Veröffentlichung wurde allerdings verschoben. Stattdessen erscheint am 20. Juni 2025 die EP „It’s A Love Song“. Der Titel klingt fast zynisch – oder vielleicht einfach nur ehrlich. Denn was ist Liebe anderes als der verzweifelte Versuch, in einer kaputten Welt irgendetwas zusammenzuhalten?
Noise als Notwendigkeit
Das hier ist kein reguläres Album. Es ist ein Statement. Ein 21-minütiger Sturm aus verzerrtem Feedback, kontrollierter Eskalation und einem Gitarrensound, der eher an Maschinenlärm als an Melodie erinnert. Neben dem kurzen Tack „Bar Open“ hat Brötzmann das Stück „All This Violence“ gleich zweimal aufgenommen – live in Wien und Dresden, beide Male im Januar 2025. Zwei Fassungen desselben Tracks, aber mit völlig unterschiedlichem Gewicht. Und es ist interessant, die Unterschiede kennenzulernen: In Wien klingt er noch richtig wütend, fordernd, in Dresden dann fast schon müde und resigniert. Aber immer noch mit Wucht.
Lärm mit Botschaft
Zwei Versionen eines einzigen Tracks – All This Violence – plus das kurze, düstere Intro Bar Open. Mehr braucht Brötzmann nicht, um den Puls der Gegenwart einzufangen. Denn was da aus Wien und Dresden ins Jetzt dröhnt, ist keine Nostalgie, kein Retro-Krach, sondern ein Requiem für eine Welt im freien Fall. Brötzmann, begleitet von Eduardo Delgado Lopez (Bass) und Saskia von Klitzing (Drums), entfacht ein klangliches Inferno aus Doom, Noise und Industrial – die Gitarre mal vibrierend wie ein startender Bomber, mal jammernd wie ein Tier im Käfig. Dazu Zeilen wie: „We are peaceful people /And we have enough /This is our protest /From all this violence“ – gesprochen, geschrien, gespuckt. Brötzmann sagt selbst, keine Studioaufnahme hätte das ausdrücken können, was diese Live-Versionen transportieren: „Mir war sehr schnell klar, dass diese Live-Aufnahmen eine Botschaft haben, eine Kraft, über aktuelle Ereignisse nachzudenken. … Es ist meine ganz eigene Art, die Schrecken der Welt zu ertragen. Ich habe das Gefühl, etwas getan zu haben, das sich gegen diese Schrecken auflehnt, und ich hoffe, dass das Album nicht nur das, sondern noch viel mehr vermittelt…“ Und er hat recht.
Verdammt eindringlich
Natürlich ist „It’s a Love Song kein Liebeslied. Aber vielleicht ist genau das die Form, die es heute braucht. Keine Romantik, keine Pose – sondern Liebe als Widerstand. Radikal, laut, ehrlich – Liebe als Akt des Widerstands. Ein Massaker, das heilt. Brötzmann eben.