Chilly Gonzales
4. Dezember 2024 • Tonhalle, Düsseldorf
Chilly Gonzales, als Jason Charles Beck in Montreal geboren, ist Pianist, Produzent und Rapper. Mit seinen Solo-Piano-Alben hat er maßgeblich zum Boom der sogenannten – und von ihm verhassten – Neoklassik beigetragen. Der mittlerweile in Köln lebende Künstler arbeitete bereits mit Größen wie Jarvis Cocker, Daft Punk, Drake und Feist zusammen und stellte mit 27 Stunden den Guinness-Weltrekord für das längste Klaviersolo der Geschichte auf. Nachdem er in den letzten zwölf Jahren fast ausschließlich Instrumental-Alben veröffentlicht hat, knüpft er mit „Gonzo“ an die wortreicheren Zeiten seiner frühen Alben an. Heute präsentiert er das aktuelle Album in der Tonhalle Düsseldorf. Ich habe ihn schon oft live erlebt und bewundere immer wieder seine faszinierende Mischung aus Virtuosität, Humor und Publikumsnähe. Mühelos wechselt er zwischen meisterhaften Klavierstücken, humorvollen Anekdoten und gelegentlichen Rap-Performances – ein Grund, warum Gabi schon sehr früh Karten für diesen Abend besorgt hat.
Gonzo stellt sich vor
Chilly Gonzales eröffnet, wie gewohnt in Bademantel und Hausschuhen, den Konzertabend mit dem Titeltrack seines aktuellen Albums Gonzo – was so viel bedeutet wie „grenzüberschreitend, exzentrisch, durchgeknallt“. Schon zu Beginn stellt er klar: „People don’t take you seriously / When your name is silly like Chilly G, really“ und „so I changed my name to Gonzo“. Im anschließenden High as a Kite thematisiert er seine lange Zeit in der Psychotherapie, durch die er wieder zum Schreiben von Texten gefunden hat. Der Einstieg ist entsprechend melancholisch, doch nach einigen Songs wendet er sich erstmals ans Publikum: Er werde nicht nur die neuen Stücke vorstellen, sondern eine Art Best-Of-Konzert geben. Mit seiner charmanten Bühnenpräsenz führt er durch ein Potpourri aus klassischer Musik, Hip-Hop und wildem Pop. Dieses Mal wird Gonzales nicht vom Kaiser Quartett begleitet, sondern von einem vierköpfigen Ensemble aus Cello, Violine, Bass und Schlagzeug. Natürlich darf auch I.C.E., sein „Liebesbrief an die Bundesrepublik Deutschland“, nicht fehlen. Selbstironisch rappt er: „Smalltalk in verspätet’n Züg’n / Entschuldigung, kann kaum Deutsch / Muss noch üben“. Spätestens jetzt hat er das Publikum vollkommen in seinen Bann gezogen.
Music is Back, Motherf*ers
Mit „F*ck Wagner“ beweist der Jazz-Pianist und Musikvirtuose einmal mehr seine Wortgewandtheit. Hier disst er Wagners antisemitische Ansichten und dessen Persönlichkeit, betont aber, dass man das musikalische Genie vom menschlichen Monster trennen müsse. Gonzales selbst liebt Wagners Musik, verabscheut aber den Menschen dahinter. Um ein Zeichen zu setzen, hat er sogar eine Petition gestartet, um die Kölner „Richard-Wagner-Straße“ in „Tina-Turner-Straße“ umzubenennen.
Ein Christmas-Medley fügt Gonzales überraschend in Moll statt Dur ein, da Weihnachten nicht immer fröhlich sei – doch für mich bleibt die Frage: Muss wirklich jede® Künstler*in Weihnachtslieder im Repertoire haben? Mich langweilt sowas. Egal, denn Take Me To Broadway, mit der brillanten Zeile „I got an extra testicle / But you’re skeptical about spectacle“, versöhnt mich umgehend. Später mischt sich der Zampano unter das Publikum und schüttelt Hände. Nach zwei weiteren Klaviersoli ist erst einmal Schluss.
Mit einem letzten „Music is back, Motherf*ers“ verabschiedet sich Gonzales. Doch das Publikum bekommt noch eine Zugabe: Mit Neoclassical Massacre, das er mit einer Tirade gegen den Spotify-Algorithmus einleitet, liefert er einen triumphalen Abschluss. Der frenetische Jubel nach diesen exzessiven zwei Stunden ist die einzige angemessene Reaktion.