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Die Nerven

Durch­schnitt­li­che Lese­dauer 3 Minu­ten

Die Ner­ven sind die „beste Post-Punk Band in der gesam­ten Nato“ – das meint jeden­falls Jan Böh­mer­mann. Gegrün­det wur­den sie 2010 in Stutt­gart. Die Beset­zung besteht seit 2012 aus Max Rie­ger (Gesang, Gitarre), Julian Knoth (Gesang, Bass) und Kevin Kuhn (Schlag­zeug). Das Trio ist mitt­ler­weile fest ver­an­kert im deut­schen Musik­busi­ness, dabei aber nach wie vor glaub­wür­dig und klar im Under­ground ver­wur­zelt. Das zei­gen auch die vie­len Side­kicks: Kevin Kuhn trom­melt auch bei Gor­don Raphael und Wolf Moun­ta­ins, Julian Knoth legt mit dem Peter Muf­fin Trio und Yum Yum Club bein­dru­ckende, wuch­tige und der Avant­garde nahe Plat­ten vor, und Max Rie­ger, der neben Die Ner­ven noch ein wun­der­ba­res Solo­pro­jekt hat (All diese Gewalt), pro­du­ziert mit Cas­per, Drang­sal, Die Selek­tion, Fri­ends Of Gas, Ilgen-Nur, Jung­stöt­ter, Stella Som­mer etc. die Spitze der deut­schen Musik­in­dus­trie jen­seits des Mainstream.

Die Nerven, Wir waren hier

Die Nerven
Wir waren hier

Ver­öf­fent­licht: 13. Sep­tem­ber 2024
Label: Glitterhouse/Indigo

Wir waren hier – Album Review

Keine Ahnung nur eine Lichtung
keine Flucht, nur eine Reise
ich sag dir nicht wie ich heiße
ein Versprechen kann ich nicht geben

Text­aus­schnitt aus „Als ich davonlief“

Für „Wir waren hier“, das sechste Stu­dio­al­bum von Die Ner­ven, tref­fen sich die Söhne Stutt­garts zu einer vier­wö­chi­gen Ses­sion in ihrer Hei­mat­stadt und arbei­ten in dem ehe­ma­li­gen Sterne-Restau­rant Zir­bel­stu­bel am Schloss­gar­ten an ihrem neuen Album. Hier, direkt gegen­über der Oper, lie­gen deut­sche Hoch­kul­tur und Spie­ßig­keit nah bei­ein­an­der. Hier spielt das Trio – nach eige­nen Anga­ben mühe­los und leicht – sein dys­to­pi­sches Noise-Rock-Album ein. Hier bewei­sen Kevin Kuhn, Julian Knoth und Max Rie­ger ein­mal mehr, wie gut sie als Trio musi­ka­lisch auf­ein­an­der ein­ge­spielt sind. Sie kom­men dabei der Aura ihrer Live-Per­for­mance mit den impul­si­ven Impro­vi­sa­tio­nen, für die die Band so geliebt wird, sehr nahe. Das Album strotzt vor musi­ka­li­scher Spon­ta­nei­tät und Über­ra­schun­gen, bewegt sich gewohnt sou­ve­rän zwi­schen Noise-Rock und Post-Punk, New Wave und Indie-Pop. „Wir waren hier“ heißt auch der Track eines ande­ren Stutt­gar­ters. Der Deutsch-Rap­per Cro fei­ert darin das Hier-und-Jetzt, denn er weiß, „dass nichts auf die­ser Welt für immer bleibt“. Die Ner­ven hin­ge­gen wis­sen um die Ver­ant­wor­tung, die wir alle tra­gen und der wir nicht nach­kom­men: „Wir waren hier / Keine Pflanze, kein Tier / War so wert­voll wie wir.“ Die Mensch­heit schafft sich sehen­den Auges selbst ab, denn „Nach uns kommt die Sint­flut, wir fres­sen vor­hеr alles auf / Wirf den Cas­tor zu den Well’n, und die Kör­per auch“ – so apo­ka­lyp­tisch gab sich das Trio noch nie.

Angst wird zu Wut

Und es macht ihnen Angst. Eine Angst, die eine unge­heure Wut und Ener­gie los­tritt. Jeder Song eine Wall of Sound: wuch­tig mit hal­len­den Gitar­ren­riffs, wum­mern­dem Bass und gna­den­los vor­pre­schen­den Drums. Gegen Mitte des Albums redu­ziert sich der Lärm ein wenig, fährt in den Mid­tempo-Modus. Mit „Acht­zehn“ war­tet das Trio sogar mit einer ech­ten, sehr pop­pi­gen und von Strei­chern beglei­te­ten Bal­lade auf, in der Rie­ger mit sei­ner Jugend abrech­net: „Ich will nie mehr acht­zehn sein, ein Hoch auf die Jugend, zum Glück ist sie vor­bei“. Wie das vor­an­ge­hende „Wie man es nennt“ erin­nert der Track mit sei­nem Schwer­mut an Rie­gers Solo-Pro­jekt All Diese Gewalt. Mit „Dis­rup­tion“ endet das Album gewohnt kra­chig mit einem wei­te­ren, letz­ten Höhe­punkt. Über fünf Minu­ten lang bauen Die Ner­ven mit einem immer vol­ler wer­den­den Sound den Track auf, um ihn am Ende in einem kra­chen­den Feed­back ver­glü­hen zu las­sen: „Lockere den Druck, der mich zu ersti­cken droht / Frei sein ist so unge­wohnt.“ Unbe­strit­ten, die Lyrics auf die­sem Album sind unge­wohnt direkt und kon­kret und mögen auf rein text­li­cher Ebene fast ein wenig banal klin­gen, ent­fal­ten aber im Song­kon­text eine enorme Qua­li­tät. Wer die Songs hört, ver­steht, woran das Trio ver­zwei­felt. War das selbst­be­ti­telte Vor­gän­ger­al­bum das bis dato wich­tigste Album der Ner­ven, bewei­sen sie mit „Wir waren hier“, dass sie kein schlech­tes Album machen können.

Die Nerven

Die Nerven
Die Nerven

Ver­öf­fent­licht: 7. Okto­ber 2022
Label: Glitterhouse/Indigo

Die Ner­ven — Album Review

Ich kann sie spüren, die falsche Zeit
Will lieber Licht statt Dunkelheit
Und ich frage mich, wie soll das gehn
Wir sehn uns um und bleiben stеhn

Text­aus­schnitt aus „Ich sterbe jeden Tag In Deutschland“

Das mitt­ler­weile fünfte Album der Ner­ven ist selbst­be­ti­telt, sämt­li­che Track­ti­tel ste­hen in Ver­sa­lien und dazu erklärt die Band es auch noch zu ihrem schwar­zen Album. Ein Wink mit dem Zaun­pfahl: Die Ner­ven haben ihr bis­her wohl wich­tigs­tes Album ver­öf­fent­licht. So poli­tisch und dabei doch vage genug waren ihre Texte noch nie, aber sie über­brin­gen schlechte Bot­schaf­ten und las­sen viel Raum für Inter­pre­ta­tio­nen. Musi­ka­lisch blei­ben sich die Ner­ven treu: Es wum­mert, zuckt, pocht und drückt — der Sound der Ner­ven bleibt wei­ter­hin ver­traut und unver­kenn­bar. Aber das kann nicht dar­über hin­weg­täu­schen, dass die düs­tere Zukunft längst begon­nen hat. Ver­stärkt wird die­ser Ein­druck durch den Umstand, dass beide Sän­ger — erst­mals sin­gen Julian Knoth und Max Rie­ger gemein­sam — immer gegen die­sen wun­der­ba­ren Lärm von Gitar­ren und Schlag­zeug ansin­gen oder auch anschreien müs­sen. Mit die­sem auf­bäu­men­den Post-Punk-Unge­tüm blei­ben die Ner­ven eine der wich­tigs­ten und bes­ten Bands Deutschlands.