Die Nerven
29. November 2024 • Kantine, Köln
Die Stuttgarter Noise-Rockband Die Nerven fühlt sich immer noch wie eine recht junge Formation an, doch tatsächlich existiert die Band mittlerweile seit 14 Jahren und gilt längst in gewissen Kreisen als „Deutschlands bester Live-Act“. Derzeit touren sie wieder quer durch die Republik, um diesen Ruf einmal mehr zu verteidigen – im Gepäck: ihr neues Album „Wir waren hier“. Unter anderem treten sie auch in der Kantine in Köln auf. Ich habe sie schon oft live gesehen, zuletzt im Januar 2023, ebenfalls in Köln (Luxor). Soll ich ein weiteres Mal hingehen? Letztendlich fällt die Entscheidung, als Klaus sagt, er und Alex würden hingehen. Ok, ich bin dabei. Eine gute Entscheidung, denn Unentschlossene gehen bei diesem Konzert schnell leer aus: Die Tickets sind rasch vergriffen, das Konzert ausverkauft. Außerdem soll das Indie-Experimental-Pop-Duo Zweilaster der Support sein, deren drittes Album „Wieherd“, produziert vom Nerven-Bassisten Julian Knoth, im Dezember erscheinen wird. Ich habe schon einiges von diesem schrulligen, minimalistischen (Pop-)Punk-Duo gehört. Das könnte interessant werden. Also auf nach Köln.
Bass-Woman als Support
Auf der Nerven-Tour wechselt der Support zwischen drei Stuttgarter Bands, die sich alle im Nerven-Umfeld bewegen: Zweilaster, Yeastweise und Cali. In Köln eröffnet dann leider nicht Zweilaster, sondern die Bassistin Cali (Cali Krawalli), mit bürgerlichem Namen Caroline d’Orville, den Konzertabend. Mit Julian Knoth und dessen Bruder spielt sie auch in der Post-Punk-Band Peter Muffin Trio. Die Kölner Bühne betritt „Bass-Woman“ wie einem Marvel-Comic entsprungen, gekleidet in ein futuristisches Superheldinnen-Outfit. Ihr musikalischer Minimalismus, reduziert auf Bass und Gesang, begleitet von einem Schlagzeuger, beginnt vielversprechend, trägt aber nicht über das halbstündige Programm. Ihre in vier Sprachen verfassten Texte erzählen von eigentümlichen Welten, heißen Flusenteppich oder La Strada, vorgetragen in einem Stil zwischen Inga Humpe und Nina Hagen. Allerdings wirkt das Ganze seltsam unfertig, roh und fragmentarisch – ein auf das Nötigste reduzierter, aber nicht überzeugender Sound. Es ist jedoch auch schwer, ein, wie sie selbst sagt, „ausgeliehenes Publikum“ zu überzeugen.
Nichts für schwache Nerven
Im krassen Gegensatz dazu sorgen Die Nerven anschließend für ein erbarmungsloses Inferno: Mit einem urgewaltigen Schlagzeuggewitter eröffnen sie ihr Set und setzen die gesamte Halle in Flammen. Wie auf ihrem aktuellen Album ist „Als ich davonlief“ der erste Song des Abends, und der weitere Ablauf folgt exakt der Trackliste von „Auf der Flucht vor der Wirklichkeit“. Das Publikum um mich herum tobt und pogt. Soll ich aus dem Moshpit fliehen? Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Aber ohmmm – eine kurze Verschnaufpause: „Achtzehn“, ein schmerzlicher Rückblick auf alte Tage. „Ich will nie mehr achtzehn sein“, bekennt Rieger. Ich hingegen schon – dann könnte ich bei dieser ekstatischen Show deutlich besser mithalten. Nach diesen ersten 30 Minuten wendet sich Rieger erstmals ans Publikum, erzählt ein bisschen über die Tour, erkundigt sich, ob bei uns in den ersten Reihen alles in Ordnung ist. Tatsächlich gab es während der ruhigen Passage von „Achtzehn“ eine kleine Auseinandersetzung zwischen einer jungen Frau und einem kräftigen Typen. Aber alles okay – na dann: Weiter geht’s mit „Europa“ von ihrem „schwarzen Album“. Und das Publikum begibt sich erneut in einen Kollektivrausch.
Den Rest des Abends bestreitet das Noise-Post-Punk-Trio mit Songs aus ebendiesem Album sowie aus „Fake“ und „Fun“. Man spürt die besondere Chemie zwischen den Bandmitgliedern, ihre Musikalität, ihren Idealismus und die Freude an ihrem Spiel. Alles klingt bei einem sehr guten Sound wie aus einem Guss. Schlagzeuger Kevin Kuhn sorgt mit seinen Kapriolen am Schlagzeug für spaßige Momente, inklusive eines Scream-Duells mit den Fans, Bassist Julian Knoth brilliert mit klassischen Rockposen, während Max Rieger als virtuoser Saitenhexer überzeugt. Souverän leiten die drei die Fans durch ihren Lärmorkan. Am Ende sind alle erschöpft, und da stört es auch nicht weiter, dass die Zugabe mit den beiden Fake-Songs „Frei“ und „Dunst“ etwas schwächer ausfällt.
Auf dem Nachhauseweg bestätigen wir uns gegenseitig, dass wir zweifellos einen der besten Live-Acts Deutschlands gesehen haben. Klatschnass vom Pogen bin ich froh, dass das Auto von Klaus und Alex über eine Sitzheizung verfügt. Die fest eingeplante Erkältung wird also hoffentlich ausbleiben.