Der tschetschenische Kulturminister verbietet das Abspielen von schneller bzw. zu langsamer Musik – zum Schutz der „tschetschenischen Mentalität“.
Nicht zu schnell und nicht zu langsam: Eine bizarre Verordnung zum Schutz und zur Förderung traditioneller, nationaler Musik Tschetscheniens verbietet jegliche Musik, die nicht einem Tempo von 80 bis 116 Schlägen pro Minute (bpm für „beats per minute“) entspricht — was bedeutet, dass viele moderne westliche Stücke nicht mehr öffentlich gespielt werden dürfen. Kulturminister Musa Dadaev begründet diese Entscheidung damit, „das kulturelle Erbe des tschetschenischen Volkes zu den Menschen und in die Zukunft unserer Kinder bringen zu wollen“. Außerdem sei „es unzulässig, Musikkultur von anderen Völkern zu nutzen.“ Im Auftrag des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Achmatowitsch Kadyrow habe sich das Ministerium mit tschetschenischen Musiker*innen und Künstler*innen getroffen, um gesangliche und choreografische Stücke zu überprüfen und sicherzustellen, dass die nationalen Musik- und Tanzwerke der „tschetschenischen Mentalität und dem musikalischen Rhythmus“ entsprechen. Das Ergebnis führte zu den nun eingeführten strengen Regularien. Jetzt haben tschetschenische Künstler*innen bis zum 1. Juni Zeit, ihre Musik „umzuschreiben“, sodass diese in den erlaubten bpm-Bereich passt. Sonst dürften diese Künstler*innen nicht öffentlich auftreten, teilte das Kulturministerium über Telegram mit.
Auch russische Nationalhymne betroffen
Von dieser Regelung ist – wie gewollt – vor allem westliche Musik betroffen, bewegt sich moderne Popmusik doch zumeist zwischen bpm-Werten von 110 bpm bis 140 bpm, EDM hat zwischen 120 bpm und 145 bpm und Techno 130 bpm bis 155 bpm. Auch Rockmusik und Klassiker der Musikgeschichte bleiben von dieser Regelung nicht verschont. „Hey Jude“ von den Beatles von 1968 wäre mit 74 bpm zu langsam für die neue Regelung, Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ mit 117 bpm schon zu schnell. Tracks von Daft Punk liegen in der Regel zwischen 120 und 127 BPM, selbst Pop-Oldies wie „Tragedy“ von den Bee Gees würden gegen die neue Zensur verstoßen. Wirklich dumm nur und ein echter Fun-Fact: Auch zwei populäre Musikstücke des Ostens könnten der Regelung zum Opfer fallen: die russische Nationalhymne – mit nur 76 Beats pro Minute ist sie zu langsam — und das Siegeslied „Den’ Pobedy“ (Tag des Sieges), das jährlich am 9. Mai unter anderem auch in Russland und Belarus aufgeführt wird und das bpm-Limit mit 126 bpm überschreitet. Intelligenz und Umsicht scheinen keine Kernkompetenzen von Diktatoren zu sein — aber das war ja eh klar.
Tschetschenien mit der Hauptstadt Grosny liegt im Nordkaukasus und ist eine fast ausschließlich muslimische Teilrepublik der Russischen Föderation, die an der Grenze zu Georgiens liegt. Sie gilt als islamisch-konservativer Terrorstaat, in dem sich in den vergangenen Jahren die Gewaltexzesse gegen die LGBTQ+-Community häuften. Wenig überraschend unterstützt sie auch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Die „Geschicke“ des Landes liegen in den Händen des Putin-treuen Kadyrow-Clans.