The Murder Capital sagen Deutschland-Konzerte wegen eines Flaggenverbots ab – ein Statement für Palästina, ein Weckruf für die Kulturbranche.
Die irische Post-Punk-Band The Murder Capital hat zwei Konzerte in Deutschland abgesagt: Die geplanten Shows am 10. Mai in Berlin (Club Gretchen) und am 11. Mai in Köln (Gebäude 9) wurden kurzfristig gecancelt, nachdem beide Venues das Zeigen einer palästinensischen Flagge auf der Bühne untersagt hatten. Die Band wich daraufhin auf akustische Open-Air-Auftritte aus.
Straßenmusik statt Clubshow
Anstelle der abgesagten Clubkonzerte organisierte die Band spontane, akustische Straßenkonzerte. In einem Social-Media-Post rief sie Fans dazu auf, eigene Gitarren mitzubringen. „Alle sind willkommen“, schrieb die Band. Die Show am 8. Mai im Münchner Hansa 39 verlief hingegen wie geplant – offenbar ohne entsprechende Auflagen. Frontmann James McGovern erklärte die Entscheidung in einem emotionalen Instagram-Post (siehe unten). Die Band bleibt bei ihrer Linie: Die Flagge sei integraler Bestandteil ihrer Haltung – überall auf der Welt sichtbar, auch auf der Bühne. Einen Kompromissvorschlag, die Flagge durch ein „Free Palestine“-Banner zu ersetzen, lehnten die Veranstalter laut Band ebenfalls ab.
Clubs verteidigen ihre „No-Flags-Policy“””
Der Club Gretchen verwies in einem öffentlichen Statement auf seine seit Jahren geltende Regel, keine Nationalflaggen zuzulassen – unabhängig vom jeweiligen Land. Diese solle sicherstellen, dass sich alle Communities im Raum sicher fühlen. „Wir arbeiten mit vielen Gemeinschaften und Künstler*innen weltweit zusammen – darunter palästinensische wie jüdisch-israelische“, so das Statement. Auch wenn der Club betont, keine Position im Nahostkonflikt zu beziehen, sei jegliche Symbolik, die politisch aufgeladen ist, untersagt. Die Band habe erst beim Soundcheck erfahren, dass die Flagge nicht akzeptiert würde.
Die Bevormundung politischer Kunst nimmt zu
The Murder Capital sind nicht allein. Auch das irische Rap-Kollektiv Kneecap sorgte kürzlich für Schlagzeilen, nachdem es beim Coachella-Festival Solidarität mit Palästina zeigte. Seitdem wurden ihnen zahlreiche Festivalbuchungen entzogen. In Großbritannien ermittelt die Polizei sogar gegen die Band – wegen angeblich extremistischer Aussagen. Parallel formierte sich internationaler Support: Ein offener Brief gegen kulturelle Repressionen, unterzeichnet von über 100 Musiker*innen (u.a. Pulp, Fontaines D.C., Idles), verteidigt die Meinungsfreiheit im Kulturbereich.
Historische Verantwortung trifft auf aktuelle Zensur
In Deutschland ist jede Äußerung zum Nahostkonflikt hochsensibel. Die historisch gewachsene Solidarität mit Israel ist staatlich verankert – doch sie führt zunehmend dazu, dass pro-palästinensische Stimmen pauschal diffamiert oder zensiert werden. Dabei geht es hier nicht um Antisemitismus, sondern um solidarische Haltung gegenüber einer notleidenden Zivilbevölkerung. Die humanitäre Lage in Gaza ist dramatisch – über 50.000 Tote, massive Zerstörung und kaum funktionierende Infrastruktur. Vorwürfe über geplante ethnische Säuberungen durch die israelische Regierung und koloniale Visionen wie Luxushotels im Gazastreifen werfen zusätzliche Fragen auf.
Neutralität darf nicht Sprachlosigkeit bedeuten
Viele Clubs reagieren mit generellen Verboten von Flaggen oder politischen Symbolen – ein Versuch, Konflikte zu vermeiden. Doch dabei droht ein gefährlicher Verlust an künstlerischem Freiraum. Musik und Kultur waren und sind auch immer Orte gesellschaftlicher Debatte, Dissens und Haltung – gerade in Krisenzeiten. Wer diese Räume auf „unpolitische“ Unterhaltung reduziert, entzieht der Kunst ihre gesellschaftliche Relevanz. So positioniert sich PEN Berlin klar gegen jede Form von Kulturboykott – ob pro-israelisch oder pro-palästinensisch. Eva Menasse, frühere Sprecherin des Vereins, bringt es auf den Punkt: „Wenn man grundsätzlich gegen Kulturboykott ist, dann darf man auch Menschen nicht boykottieren, die einmal für Kulturboykott unterschrieben haben.“
Kunst kann nicht neutral sein
The Murder Capital haben mit der Absage ihrer Konzerte mehr bewirkt als mit einem stillschweigenden Kompromiss. Sie erinnern uns daran, dass Kunst keine neutrale Fläche ist, sondern auch eine Stimme für Menschlichkeit und Gerechtigkeit sein kann. Der Wunsch nach politischer Neutralität in kulturellen Räumen ist verständlich – doch er darf nicht zur Zensur führen.
So wird man schnell als Antisemit abgestempelt, weil man den fürchterlichen Vernichtungskrieg Netanjahus scharf verurteilt, andere wiederum beschimpfen einen als Unterstützer des Genozids, weil man die Hamas nicht für eine geile Widerstandsgruppe hält. So werden dringend gebrauchte Diskurse im Keim erstickt.