Gabby Fluke-Mogul
12. April 2025 • Privatkonzert, Düsseldorf
Tom hat mir eine Einladung zu einem kleinen Privatkonzert in einem Düsseldorfer Hinterhof gegeben. Angekündigt hat sich die in Brooklyn ansässige Violinistin Gabby Fluke-Mogul. Dass dies kein gewöhnlicher Konzertabend werden würde, zeigt schon der Einladungsflyer: „Ihre Musik ist zwischen Avantgarde und Free Jazz angesiedelt und hat tiefe Wurzeln in improvisierter und experimenteller Musik. Man kann sie als ‚körperhaft, eindringlich und virtuos‘ und als ‚den markantesten Sound improvisierter Musik seit Jahren‘ beschreiben“, heißt es darin. Hört sich doch interessant an – und Angst vor experimenteller Musik habe ich ja bekanntlich nicht. Ich sage also zu, und am Abend sitzen Tom und ich zusammen mit knapp zwanzig weiteren Musikinteressierten in einem improvisierten, charmanten Konzertraum.
Die Geige als Resonanzraum
Nach einer kurzen Vorstellung steht fest: Gabby Fluke-Mogul ist eine hochkarätige Violinistin, hat sich in der experimentellen Musikszene einen Namen gemacht und bereits mit vielen anderen Künstler*innen zusammengearbeitet – unter anderem mit der Percussionistin Nava Dunkelman, den Violinist*innen Joanna Mattrey und Charles Burnham, dem Multiinstrumentalisten Luke Stewart und Fred Frith. Und von Anfang an ist klar: Bei Gabby Fluke-Mogul ist die Geige kein bloßes Instrument – sie ist ein lebendiger Körper, ein Resonanzraum für Emotion, Improvisation und radikalen Ausdruck. Ihren Soloauftritt kann man als körperlich-performativen Akt verstehen. Wir erleben keine klassische Virtuosität – vielmehr geht es der Musikerin um eine intensive Auseinandersetzung mit dem Klang selbst.
Reiben, Kratzen, Zerren
Gabby Fluke-Mogul lässt keinen Zweifel daran, dass ihre Musik weniger aus Noten besteht als aus Energie, Reibung und Widerstand. Sie sitzt lässig auf einem einfachen Stuhl, zu ihren Füßen diverse Pedale und Effektgeräte, hinter ihr ein großes Industriefenster, durch das man den nächtlichen Bahnverkehr beobachten kann. Die Geige locker in der Hand, der Bogen hängt fast nebensächlich an der Seite – zunächst nur ein tiefes Innehalten. Dann: ein leiser Kratzton, fast wie ein Atemholen auf Holz. Der Beginn einer gut 45-minütigen Solo-Performance, die alles ist – nur nicht vorhersehbar. Was folgt, ist fast ein körperliches Ritual. Die Geige wird geschlagen, gestrichen, gehaucht, verzogen. Fluke-Mogul beugt sich tief, reißt den Bogen abrupt zur Seite, lässt ihn klirren. Kratzende Bewegungen auf dem Gehäuse, das Zittern der Saiten. Zwischendurch ein Aufstöhnen, später flüsternde, kaum verständliche Worte, zarter Gesang – wie Fragmente eines inneren Monologs. Sie hält den Bogen schräg, rutscht über den Steg, klopft auf den Korpus, nutzt ihre Fingerknöchel. Es entsteht eine Klangsprache, die an die Geräuschhaftigkeit des Free Jazz erinnert, an die Körperlichkeit von Performancekunst, an die Radikalität von Noise – selbst Blues- und Southern-Soul-Anklänge blitzen gelegentlich auf.
Elektronisch verzerrt
Subtil, aber gezielt nutzt die Amerikanerin ihre Effektgeräte – vor allem Looper, Reverb und Verzerrer. Sie setzt sie wie akustische Vergrößerungsgläser ein: Sie dehnen das Kratzen eines Bogens ins Monumentale, lassen ein Flüstern metallisch nachhallen oder verwandeln einen simplen Ton in ein nervös zuckendes Echo. So wird das Rohe, das Uneindeutige verstärkt – und macht das Innere der Geige hörbar. Am Ende eine kurze Verbeugung, kein routinierter Abgang. Sie lässt die Geige sinken, atmet einmal tief durch – und fast zögerlich, dann aber warm und lang, der Applaus. Vielleicht, weil man das gerade Erlebte erst noch einordnen muss. Vielleicht auch, weil dieses Universum aus roher Klangsprache und performativer Ehrlichkeit sich gar nicht einordnen lässt.
Verstörend interessant
Beim abschließenden Bier versuchen auch Tom, Oliver und ich, diesen Abend richtig einzuordnen – allein, es will uns nicht gelingen. Ich persönlich blieb fasziniert zurück – irritiert allerdings von der Radikalität des Ausdrucks und der körperlichen Intensität. Eine kompositorische Struktur konnte ich nicht erkennen, doch vielleicht liegt gerade in dieser Unvorhersehbarkeit die eigentliche Spannung. Es war verstörend – und vielleicht gerade deshalb interessant.


