Georgette Dee & Terry Truck
28. November 2025 • Savoy Theater, Düsseldorf
Wir haben sie unzählige Male gesehen in den letzten Jahren, ja Jahrzehnten: Georgette Dee und Terry Truck, die regelmäßig in Düsseldorf gastieren, oft im Savoy Theater. Jede Aufführung war anders – selbst wenn sich manche Songs wiederholten. Begeisternd waren sie immer, und dennoch hatten wir irgendwann aufgehört, hinzugehen. Heute sitzen wir wieder im nostalgischen Saal des ehemaligen Düsseldorfer Kinos. Gabi hat mir die Karten zum Geburtstag geschenkt.
Charmanter Stil der Fünfziger Jahre
Schon beim Betreten des Raums fühlt es sich an, als würde jemand das Licht im Kopf dimmen und das Herz etwas weiter aufziehen: gedämpftes Leuchten, rote Samtsofas, Fünfzigerjahre-Charme. Eine perfekte Kulisse für dieses Ausnahme-Duo, dessen bloße Anwesenheit die Temperatur im Raum verändert. Noch bevor die beiden die Bühne betreten, liegt eine stille Entspanntheit über dem Publikum – ein kollektives Einatmen. Entsprechend warm werden sie empfangen. Terry Truck beginnt mit zarten Klavierakkorden, während Deutschlands „größte Diseuse“ (Zitat Die Zeit) gewohnt tagesaktuell und spitz über die Neugründung der AfD-Jugendorganisation herzieht. Die Richtung für den Abend ist gesetzt. Später bekommt auch der rechtsextreme AfDler Höcke sein Fett ab, und auch Merz wird verhöhnt, weil er in Angola deutsches Brot vermisst.
Chanson, Kabarett und Alltagswunder
In den kommenden zwei Stunden verschmelzen Chanson, Kabarett, kleine Stand-up-Momente und schrullig-humorvolle Alltagsbeobachtungen, bis man kaum noch weiß, ob man einem Konzert, einer Theaterperformance oder einer sehr persönlichen Glitzertherapiesitzung beiwohnt. Georgette Dee singt nicht einfach Lieder – sie erzählt Leben: ihr eigenes, unseres, erfundenes, verwobenes. Ihre Stimme gleitet mühelos von brüchiger Bar-Philosophie zu glasklarer Verletzlichkeit, stets mit diesem rauen Unterton, der klingt, als habe sie Nächte durchlebt, von denen man eigentlich nicht erzählen sollte. Sie tut’s trotzdem, und wie! Zwischen den Liedern sprudeln Reflexionen über Liebe, Alter, queeres Leben und absurden Alltagskitsch.
Höhepunkte: Von Rio Reiser bis Bob Dylan
Highlights zu nennen ist schwer, weil die ganze Show mit ihrem ständigen Wechsel zwischen Melancholie und Witz fesselt. Erwähnt sei jedoch das Rio-Reiser-Cover „Menschenfresser“ im ersten Teil der Show, das Dee süffisant allen Despoten dieser Welt widmet. Schon das Original ist kraftvoll – doch hier steigert sie sich in ein Stakkato aus Gesang, Wut und Dringlichkeit, das mitreißt. Ein weiteres Glanzstück folgt in der zweiten Hälfte: „It’s All Over Now, Baby Blue“ von Bob Dylan. „Wenn ich Joan Baez gewesen wär, ich hätte ihn zu mindestens zwei Nobelpreisen gepimpert“, kommentiert Dee trocken – einer dieser typisch dee’schen Momente zwischen Blödsinn und Brillanz. Das Duo mischt bekannte Chansons, literarische Texte und Cover mit eigens geschriebenen Songs, die klingen, als seien sie um drei Uhr morgens in einer verrauchten Berliner Altbauküche entstanden. Man lacht, obwohl man eigentlich weinen möchte – oder umgekehrt.
Improvisation als Kunstform
Vieles wirkt spontan, improvisiert, und wenn Dee (nach dem einen oder anderen Gläschen) mal den roten Faden verliert, gleicht sie das mit unerschütterlichem Humor aus. Einmal blättert sie kurzerhand in Trucks Noten herum, weil ihr der Text entfallen ist. Dabei geht es laut Dee noch schlimmer: Sie erzählt von Nina Simone, die bei einem Konzert den kompletten ersten Teil einfach in der zweiten Hälfte wiederholte. Währenddessen sitzt Terry Truck am Flügel – scheinbar stoisch, eigentlich jedoch der heimliche Regisseur des Abends. Mit wenigen Akkorden kann er Dees Geschichten in eine verrauchte Spelunke kippen oder sie in einen goldglänzenden Kinotrailer verwandeln. Er ist stets wach, präsent, verschmitzt, vertraut. Wenn er solistisch in den Vordergrund tritt, zeigt sich: Hier sitzt kein Begleiter, sondern ein Erzähler in Tastenform. Auch seine gelegentlichen Gesangseinwürfe heben die Show auf ein anderes Niveau.
Gerne wieder öfter
Am Ende stehen alle – nicht aus Pflicht, sondern weil an diesem Abend ausgesprochen wurde, was viele nur denken, und das in einer Form, die so in Deutschland sicher einzigartig ist. Georgette Dee und Terry Truck zeigen im Savoy einmal mehr, wie zeitlos Chansons sein können, wenn man sich traut, schmutzig, zärtlich, queer und radikal ehrlich zu sein. Man tritt hinaus in die Düsseldorfer Nacht, ein bisschen stiller, ein bisschen weicher – und mit dem Gefühl, einem seltenen, sehr persönlichen Ausnahmezustand beigewohnt zu haben. Es war ein freudiges Wiedersehen der vertrauten Art — werden wir jetzt wohl wieder häufiger machen.

