Gewalt
28. Mai 2023 • Luxor, Köln
Es ist schon eine Zeit her: Am 5. Februar 2018 gab es eine Doppelshow im ZAKK, präsentiert von SPEX und Byte.fm. Ich ging hin wegen Friends of Gas, einer fünfköpfigen Post-Punk-Band aus München. Ganz groß. Die zweite Formation war Gewalt — ein Trio, gegründet von Ex-Tennisprofi Patrick Wagner, Initiator der „Fuckup Nights“ und ehemaliger Surrogat-Frontmann, der auch das Musiklabel Kitty-Yo zur internationalen Marke gemacht hat, sowie der Gitarristin Helen Henfling und der Bassistin Yelka Wehmeier. Vierter im Bunde: Drumcomputer DM1 — gemeinsam verblüfften sie mich mit ihrem existenzialistischen, rohen Krach.
Jetzt spielt Gewalt also im Luxor — Bassistin Wehmeier wurde zwischenzeitlich von Jasmin Rilke ersetzt. Zuvor tritt wider Erwarten noch das Kölner Poppunk-Trio Flittern auf, das aus der Deutsch-Punk-Band Hey Ruin hervorgegangen ist. Musikalisch bewegen sie sich irgendwo zwischen Grunge, Pop-Punk, Neunziger-Punkrock und Indie und agitieren scharf gegen rassistisches und nationalistisches Denken. Knappe, sehr engagierte dreißig Minuten toben sie auf der Bühne, ein amtlicher Moshpit würde passen, allerdings fehlt es an genügend Publikum, begeistert hat es mich nicht.
Nach kurzer Umbaupause ist es dann soweit. Das Brachial-Industrial-Trio betritt die Bühne, hinter ihnen leuchtet stroboskopmäßig grell das Logo der Band auf: GEWALT. Ansonsten bleibt die Bühne in magisches Marineblau gehüllt. Wie nicht anders zu erwarten, geht es dann martialisch los. Das Trio spielt laut, kraftvoll und präzise, reduziert sich auf das Wesentliche und präsentiert uns ein hoffnungsloses, dystopisches Bild unserer Gesellschaft. Es geht düster und böse zu, textlich wie musikalisch. Gründe gibt es dafür genug. Sei es das Wegschauen bei ertrinkenden Flüchtlingen, die irre Gier oder die Faschisten im Bundestag. Und so schreit und spuckt uns das sympathische Großmaul Wagner brutal, hart und klar seine Parolen ins Gesicht. Es ist die totale Verneinung dessen, was wir leben. Natürlich hat er auch keine endgültigen Antworten: „Was denn? / Was ist denn? / Was willst du denn? Von mir?“ Gnadenlos hämmert der Beat des Drumcomputers scheppernd nach vorn, die Gitarren von Helen Henfling und Patrick Wagner heulen mit präzisem, aber bösartigen Sound, und Jasmin Rilke lässt ihren Bass ordentlich noisig grooven. Selbst der Song „Jahrhundertfick“ macht dann auch eher Angst als Lust. Diese ganze Trostlosigkeit formuliert Wagner in einem anderen Song: „Wir sind mechanisch. Wir sind zerbrechlich. Wir sind nur Ding unter Dingen. Wir warten auf die Liebe. Und den Krebs.“ Was auf dem Album stumpf und aggro rüberkommen mag, entfaltet hier live im Luxor eine enorme, mitreissende Wucht. Es ist ein kraftvoller Auftritt voller Leidenschaft. Oder wie Wagner formuliert: „Wir haben nur zwei Arten von Stücken: Shaker und Bouncer.“ Ja, es ist Industrial-Noise-Rave (keine Ahnung, ob es dieses Genre gibt), gelegentlich funky und tanzbar, wie man im Publikum sehen kann. Dieses ohrenbetäubende Lärmbad klingt nicht immer schön, aber es muss mit der nötigen Lautstärke stattfinden. Einer der Songs entstand dann auch aus dem Ärger, dass die Band eines ihrer Konzerte nicht mit entsprechender Lautstärke wiedergeben konnte. „Als wir kamen / Wir waren ungebrochen“, schreit Wagner. „Wir waren schön wie Gott.“ Und dann weiter: „Wir haben uns runtergeregelt, gedrosselt und eingepegelt / Eingeritten, uns beschnitten, kontrolliert / Wir haben uns limitiert.“ Der Feind lauert halt überall, und die Wut und der Ärger darüber müssen einfach raus …
Erwartbar gibt es am Ende keine Zugabe, denn wie Patrick Wagner verkündet: „Wir sind Gewalt und wollen nicht so enden wie Thees Uhlmann.“ Was immer er damit meint — jedenfalls: keine Zugabe. In meiner Begeisterung gehe ich dann noch zum Merch und kaufe bei einem völlig verschwitzten, sichtbar abgekämpften, aber sehr freundlichen Patrick Wagner ein T‑Shirt. Bleibt die Frage: Kann man mit einem T‑Shirt auf dem fett GEWALT steht überhaupt auf die Straße gehen, ohne zu provozieren? Auf der Rückfahrt hält mich Klaus Fiehe mit seinem Kommentar zum letzten Spieltag der Fußball-Bundesliga, der ja bekanntlich in allen drei Ligen äußerst spannend verlief, davon ab, diese Frage zu vertiefen. Zudem kündigt er ein neues Album von Protomartyr an — und die würde ich mir dann auch gerne noch einmal live ansehen…
Hier ein kleines Soundbeispiel aus dem Album „Paradies“