Die kanadische Post-Rock-Band Godspeed You! Black Emperor (GY!BE) gründet sich 1994 in Montreal, Québec. Bekannt für ihre epischen, oft düsteren Instrumentalkompositionen, mischen sie Rock, orchestrale Arrangements und Ambient-Klänge zu langen Tracks mit aufsteigenden Klangwänden und teilweise gesprochenen Wortfragmenten. Mit ihrem Debütalbum „F♯ A♯ ∞“*” (1997) und dem gefeierten Nachfolger „Lift Your Skinny Fists Like Antennas to Heaven“ (2000) setzen sie neue Maßstäbe im experimentellen Post-Rock. Ihre Musik ist stark politisch und dystopisch, was sie zu einer ikonischen Band in der Rock-Szene macht. Nach einer Pause von 2003 bis 2010 kehren sie erfolgreich zurück und veröffentlichen weiterhin Alben, die die Welt kritisch reflektieren. GY!BE hat nur zwei offizielle Bandfotos veröffentlicht (1997 und 2010). Ihre wenigen Interviews werden in schriftlicher Form geführt und im Kollektiv beantwortet. Die Band hatte nie eine Website oder Social-Media-Konten. Sie hat auch nie ein Video gemacht. Nur wenige Rockbands im 21. Jahrhundert haben so konsequent versucht, die Arbeit für sich selbst sprechen zu lassen: Sie verweigern sich jeglicher Art der Kommerzialisierung oder Vereinnahmung. Ich hatte schon zweimal die Gelegenheit ein Live-Konzert von ihnen zu sehen: Es sind intensive, cineastische Erlebnisse, bei denen ihre düsteren, epischen Instrumentalstücke von eindringlichen Filmprojektionen begleitet werden, die eine fast tranceartige Atmosphäre schaffen. Das Publikum wird in einen hypnotischen Strudel aus schichtweise aufgebauten Klängen, langen Crescendos und apokalyptischer Stimmung gezogen, wobei die Musiker oft im Hintergrund agieren und die Musik und visuelle Kunst in den Fokus rücken.
GY!BE kommen ohne Worte aus und positionieren sich dennoch extrem links-politisch. Deutlich wird es in den wenigen (schriftlichen) Interviews und Stellungnahmen oder eben bei den Alben- und Track-Titeln. Im Oktober 2024 ist das achte Album des kanadischen Postrockkollektivs erschienen. Sein Titel nimmt direkt Bezug auf die Kriegsereignisse in Nahost, fasst das Unsagbare in schockierenden Zahlen zusammen und bezieht sich auf die schweren zivilen Verluste im Gaza-Streifen seit Israels Bombardierung, die fast ein Jahr vor der Veröffentlichung des Albums begann: no title as of 13 february 2024 28,340 dead. Laut Bandaussage wurde Im Kollektiv heftig diskutiert und gestritten, bevor man das Album aufnahm. Das Ergebnis bleibt aber soundmäßig in den gewohnten GY!BE-Gefilden. Die imposante musikalische Ästhetik hat sich seit ihrer Gründung in Montreal vor 30 Jahren nicht groß geändert – und das ist ausdrücklich als Kompliment gemeint. Die Band gibt sich bei den ellenlangen, epischen Songs gewohnt kraftvoll und dynamisch, die Songs nehmen immer wieder unerwartete Wendungen an, steigern sich, fallen wieder ab und verändern ständig ihre Lautstärke.
Was bleibt, ist die Hoffnung
Verhalten und mit viel Hall wird das Album mit „sun is a hole sun is vapors“ eröffnet, ein ungemein atmosphärischer Aufbau. Auch der zweite Track setzt nach minutenlangem sphärischen Ambient im Finale auf Melodie und Erhabenheit. Der mit 13 Minuten längste Track, „raindrops cast in lead“, verdeutlicht die Dynamik der kriegerischen Auseinandersetzung in Nahost, indem er ausgehend von einem schlierenden, unheilvollen Grundton einen unerbittlich steigenden Rhythmus aufbaut, der schließlich in ein Inferno aus elektrischen Saiten und Schlagtrommeln übergeht. Der folgende Track „broken spires at dead kapital“ führt dann mit seinem dronigen, von traurigen Streichern begleiteten Sound vor Augen, was die in Blei gegossenen Regentropfen zurücklassen. „pale specator takes photographs“ wiederum lässt vermuten, dass die ganze Welt nur als Schaulustige das Grauen verfolgt. Die Streicher geben sich zunächst völlig dissonant, eine fast beiläufig auftauchende Geige formuliert eine eingängige Melodie, aber das unterschwellige Unheil bleibt bestehen und entlädt sich im Schlusstrack „grey rubble – green shoots”. Was zurückbleibt, sind Trümmer, sichtbare und unsichtbare. So verbinden sich in den rein instrumentalen Stücken Kummer, Schmerz und Angst. Schon immer haben GY!BE in ihren Shows mit Super-8-Filmen experimentiert und immer tauchte in den flackernden Bildern die handschriftliche Botschaft „HOPE“ auf. Es ist das Einzige, was bei „no title as of 13 february 2024 28,340 dead“ übrig bleibt, aber esgibt wenig Grund für Optimismus. Doch wenn Hoffnung nicht ausreicht, um die Dunkelheit zu vertreiben, was bleibt dann noch?
GY!BE rufen uns zu: Gebt nicht auf, haltet durch:
we drifted through it, arguing. every day a new war crime, every day a flower bloom. we sat down together and wrote it in one room, and then sat down in a different room, recording. NO TITLE= what gestures make sense while tiny bodies fall; what context?; what broken melody? and then a tally and a date to mark a point on the line, the negative process, the growing pile. the sun setting above beds of ash while we sat together, arguing. the old world order barely pretended to care. this new century will be crueler still. war is coming. don’t give up. pick a side. hang on. love. GY!BE