Obiges Zitat stammt von dem Kanadier Chilly Gonzales. Der Künstler hat ein Problem mit Richard Wagner. Er liebt seine Musik, verabscheut aber den Menschen und seine Einstellung.
Chilly Gonzales, selbsternanntes Musik-Genie und Jude, liebt die Werke Wagners. Doch Wagner war glühender Antisemit. Fast täglich läuft der Wahlkölner Gonzales durch die Richard-Wagner-Straße im Belgischen Viertel. Für ihn ist das nicht in Ordnung, denn: „Wenn eine Straße in der Kölner Innenstadt den Namen eines Antisemiten trägt, der nicht einmal eine enge Beziehung zu Köln hatte, ehren wir damit meines Erachtens einen unwürdigen Mann”. Daher hat er eine Petition eingereicht, die eine Umbenennung der Kölner Richard-Wagner-Straße in Tina-Turner-Straße fordert. Die afroamerikanische Sängerin hatte neun Jahre in Köln verbracht, im Jahr 2023 starb sie. „Als jemand mit jüdischen Wurzeln bin ich persönlich besorgt darüber, dass jemand, der so offen antisemitisch war, heute noch eine nach ihm benannte Straße weniger als einen Kilometer von meinem Wohnort entfernt hat,“ so der Künstler. Er habe bei Andreas Hupke, dem Bezirksbürgermeister für Köln-Innenstadt, entsprechende Unterlagen mit der Bitte um Umbenennung eingereicht. Zurzeit tourt Chilly Gonzales durch deutsche Konzerthallen, eines der zentralen Stücke aus seiner Show ist „F*ck Wagner“, ein Crossover aus Klassikzitaten, Rap und politischem Aktionismus. Canceln will er Wagner damit nicht, er wird aber weiterhin seine Werke hören, die er überaus schätzt.
Kettcar unterstützen den Wahl-Kölner
Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch unterstützt die Idee Gonzales’ und regt eine weitere Option an: Alle Richard-Wagner-Straßen erhalten Namen aus Wagners Werken. Die Frage, ob man Werk und Autor trennen kann, spaltet seit Jahren Fans der Musik- und Kunstwelt. Die Bilder des italienischen Barockmalers und Mörders Michelangelo Merisi da Caravaggio hängen in Museen auf der ganzen Welt. Der Bildhauer Benvenuto Cellini brüstet sich damit, jahrelang Frauen sexuell genötigt zu haben. Der Regisseur Roman Polanski setzte 1977 die dreizehnjährige Samantha Gailey unter Drogen und vergewaltigte sie anschließend. Der Musiker Gary Glitter wurde wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in fünf Fällen sowie einer versuchten Vergewaltigung zu 16 Jahren Haft verurteilt. Von Michael Jackson über Bill Cosby bis zu Till Lindemann – die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Unbestritten sind auch moralisch fragwürdige Menschen zu großartiger Kunst fähig. Doch wie damit umgehen? Auf ihrem neuen, sehr politischen Album „Gute Laune ungerecht verteilt“ spricht die Band Kettcar auch das Thema Wagner an. Beim Song „Kanye in Bayreuth“ geht es um Cancel Culture und ebenfalls um das Verhältnis zwischen Künstler und Werk. Mit Kanye ist natürlich der Rapper Kanye West gemeint, der sich inzwischen sehr rassistisch und antisemitisch gibt. In der letzten Strophe des Textes singt Marcus Wiebusch: „In einer Bayreuther Sommernacht — den grünen Hügel rauf / Morrissey, Louis C.K. — den grünen Hügel rauf / Dass Moral hier objektiv ist, das glaub ich kaum / Gegen Wagner ist jedes Arschloch ein Pausenclown / Das ist subjektiv, meine Meinung, scheißegal / Subjektiv, deine Meinung, auch egal.“ Toller Song — die Frage nach der Trennung zwischen Künstler und Werk steht weiterhin im Raum. Ganz subjektiv, witzig und selbstironisch geht die Autorin Clara Drechsel dieser Frage in ihrem Buch „Genie oder Monster“ nach. Das Buch wurde von der Los Angeles Times mit dem Award für autobiografische Prosa ausgezeichnet.
Hört euch den Kettcar-Song einmal an.
Doch zurück zur Kölner Richard-Wagner-Straße: Die Petition von Chilly Gonzales hat am 7. Juni 2024 schon knapp 15.500 Unterstützer*innen. Aber selbst wenn die Petition erfolgreich sein sollte, gibt es noch viel zu tun: In Deutschland sind insgesamt 632 Straßen nach dem Komponisten benannt. Bei change.org kann man die Petition per Unterschrift unterstützen.