Live im Wohnzimmer

John Elliot

24. Mai 2023 • Wohnzimmer, Mönchengladbach

Sie machen es immer mal wie­der — und ich freue mich jedes Mal dar­auf: Alex und Georg laden in die Beckers­straße zu einem klei­nen Haus­kon­zert. Wobei, Haus­kon­zert beschreibt es nicht ganz: Zunächst trinkt man gemein­sam das eine oder andere Bier, spä­ter genießt man im Wohn­zim­mer die Per­for­mance, um im Anschluß wie­derum im Gar­ten um eine gemüt­li­che Feu­er­tonne zu ste­hen und über Musik und Gott und die Welt zu plau­dern. Der Rah­men scheint also gesetzt, und den­noch ist so ein Abend immer wie­der über­ra­schend und inspi­rie­rend. Heute also der Sin­ger-Son­ger­wri­ter John Elliott aus San Fran­sisco. Tat­säch­lich sollte er einen Tag vor­her in der Kas­sette in Düs­sel­dorf auf­tre­ten, lei­der wurde dies aus mir unbe­kann­ten Grün­den abge­sagt. By the way: Die Kas­sette hält es mit den Ein­tritts­gel­dern meist so wie Alex und Georg: Gut sicht­bar steht der Hut …

Aber zu John Elliott: Er ist in Min­ne­sota gebo­ren und auf­ge­wach­sen und wußte schon zu High-School-Zei­ten, dass er mit Musik Kar­riere machen und sei­nen Lebens­un­ter­halt ver­die­nen wollte. Auch wenn er sich, wie er wäh­rend des Kon­zerts scherz­haft bemerkt, das Ganze mehr John-Bon-Jovi-like vor­ge­stellt hat. Aber er ver­si­chert, er sei äußerst glück­lich mit sei­ner Situa­tion und er genießt es an allen mög­li­chen Orten und zu unter­schied­li­chen Bedin­gun­gen zu spie­len. Zwei Tage zuvor spielte er vor 150 Zuhörer*innen in einer Kir­che in Kre­feld und heute nun vor knapp 30 im Wohn­zim­mer. Er beginnt sein Kon­zert mit „Fami­liy“, dem zwei­ten Track sei­nes aktu­el­len Albums und benennt damit auch gleich die The­men, die ihn am meis­ten beschäf­ti­gen: Her­kunft, Hei­mat, Flucht und Bezie­hun­gen. „my family came from ger­many, nine­te­enth cen­tury, far across the sea, from ger­many / what makes us wan­der around? / what makes us wanna settle down? / what makes a dif­fe­rence? / i’m not gonna give up, i’m not / i’m not gonna give up, i’m not“. Über­haupt ist Johns Welt­an­schau­ung eine zutiefst offene und empha­ti­sche, auch wenn er in sei­nem Song „Min­nea­po­lis“ den Cops einen lang­sa­men, qual­vol­len Tod wünscht. Er spielt damit natür­lich auf den Mord an George Floyd im Mai 2020 in Min­nea­po­lis an und for­dert in sei­ner Wut und Macht­lo­sig­keit „exe­cute the offi­cers and burn Minneapolis“. 

Aber er gibt sich auch opti­mis­tisch, wenn er in sei­nem Song „It gets bad, but it gets bet­ter“ all die Kata­stro­phen auf­zählt, die der Mensch her­vor­ge­ru­fen hat, dann aber man­tra­haft wie­der­holt: „We can make it through if we laugh at it tog­e­ther / It gets bad, but it gets bet­ter“. Mög­li­cher­weise ist es aber auch schlicht Aus­druck von Resi­gna­tion und Ver­zweif­lung. Oder er hat ein ähn­lich star­kes Ver­trauen in die Wir­kung und Macht der Musik wie Woody Gut­hrie, der in den 1940er Jah­ren auf seine Gitarre schrieb „This machine kills fascists“. Aber es gibt nicht nur nach­denk­li­che, kri­ti­sche Songs. Love­songs gehö­ren natür­lich auch zu Elliotts Reper­toire, wie das ver­träumt-nach­denk­li­che „Never had a home“. Elliot singt eini­ges von sei­nem aktu­el­len Albums „After All This Time“ vom Januar 2023, spielt aber auch ältere Songs – meist beglei­tet von der akus­ti­schen Gitarre, gele­gent­lich wech­selt er auch schon mal zu sei­nem Key­board Elec­tro 6D, und hin und wie­der spielt er zusätz­lich noch auf der Mund­har­mo­nika. Dabei erweist sich auch als groß­ar­ti­ger Enter­tai­ner, der weiß, wie man sein Publi­kum anspricht und einbezieht.

Musi­ka­lisch läßt sich das Ganze tat­säch­lich mit klas­si­schem Sin­ger-Song­wri­ting beschrei­ben. Das mag nicht allen gefal­len, aber die Art und Weise, wie Elliot die wid­ri­gen Ver­hält­nisse anpran­gert oder seine Love­songs mit beacht­lich kla­rer Stimme vor­trägt, ist ein­fach groß­ar­tig. Am Ende ent­läßt er uns dann aller­dings in der Zugabe mit einem ech­ten Dow­ner – ein sicher ganz bewußt gewähl­ter Abschluss: Es ist die Ver­to­nung eines Poems des ukrai­nisch-ame­ri­ka­ni­schen Dich­ters Ilya Kamin­sky mit dem Titel „We Lived Hap­pily During the War.“ Ja stimmt, irgendwo anders ist Krieg und wir schauen zu. Bleibt zu erwäh­nen, dass die Per­for­mance mit einer per­fek­ten klei­nen Light­show und einem extrem guten Sound bes­tens in Szene gesetzt wurde.

Sicher hat die Musik nicht allen gefal­len, dafür sind zu viele Altpunker*innen unter den Zuhörer*innen, aber alle haben größ­ten Respekt für Musi­ka­li­tät, Pro­fes­sio­na­li­tät und Enga­ge­ment die­ses Sin­ger-Song­wri­ters. Dies ist beim Applaus deut­lich zu spü­ren und auch bei den Gesprä­chen spä­ter rund um die Feu­er­tonne. Thanks for this great per­for­mance, John, und vie­len Dank, Alex und Georg, für die­sen wie­der mal run­den, tol­len Musik­abend. Ich komme gerne wie­der in die Beckersstraße

Damit ihr eine Idee von John Elliotts Songs bekommt, könnt hier euch hier den oben erwähn­ten Song „Family“ vom Album „After All This Time“ anhören: 

Hier noch ein paar Impressionen: