Sänger Joe Talbot und Bassist Adam Devonshire lernen sich am College in Exeter kennen. Sie ziehen nach Bristol, um an der Universität zu studieren und eröffnen hier den Nachtclub Batcave. Später gesellen sich die beiden Gitarristen Mark Bowen und Lee Kiernan sowie Schlagzeuger Jon Beavis dazu. Und irgendwie scheint eine Menge Wut in ihnen zu stecken. Auf jeden Fall dreschen sie ganz ordentlich auf ihre Instrumente ein — und Joe Talbot lässt mit seinem stoisch-keifenden Sprechgesang ordentlich Frust ab… „Brutalism” nennt die Band ihr erstes Album – und es ist roh und ungeschliffen. Talbots Mutter stirbt nach langer Krankheit während der Aufnahmen — das Cover zeigt ein Bild von ihr. Das zweite Album „Joy As An Act Of Resistance“ erscheint 2018 – ein sehr emotionales, wütendes Album (siehe unten). Zwei Jahre später erscheint „Ultra Mono“, das klangliche Spektrum der Band verändert sich. Es wird zugänglicher, ohne an Kraft zu verlieren und steckt voller politischer Wut. An dem Album sind unter anderem Warren Ellis von den Bad Seeds sowie Jamie Cullum, David Yow und weitere Gastmusiker*innen beteiligt. Noch deutlicher schimmert der gefühlvolle Pop-Appeal auf ihrer vierten Platte „Crawler“ durch. Aggression und Sentimentalität fordern einmal mehr zum Tanzen und Hüpfen auf. Mit seinem fünften Album „Tangk“ erweitert das Quintett ein weiteres Mal seinen Sound und überrascht mit weichen Klavierakkorden und warmen Streichern.
Tangk • Album-Review
Textausschnitt aus „Dance”
Hold the phone
Hip to hip, cheek to cheek
Push me away like I’m Lucifer
So to speak
Der Musikkosmos der Idles besteht aus Wut, Härte und extrem wüsten Live-Shows, in denen sich Musiker und Publikum geme auch mal vermischen. Nun entdecken die wilden Herren ihre weichere, poppigere Seite und zeigen, dass sie auch zu echten Liebeslieder fähig sind, auch wenn Talbot dabei immer noch den rohen, schreienden Berserker gibt, dennoch Liebe und Empathie bestimmen dieses Album. Schließlich möchte Joe Talbot in einer „sehr unzivilisierten Welt“ sicherstellen, „nicht Teil dieses Problems“ zu sein. „Ich möchte, dass unsere Musik ein Gedicht ist, und ich möchte, dass sie ein schönes Gemälde ist, und ich möchte das Leben genießen und ich möchte die Liebe genießen, also tue ich das,“ so Joe Talbot in einem Statement zu diesem Album. Die neue Pop-Sensibilität mag auch ein wenig auf Radiohead-Produzent Nigel Godrich zurückzuführen sein, mit dem Talbot fast alle Songs im Studio nahezu spontan eingesungen. Talbots Botschaft: „All is Love and Love is All“ wie es im Track „Gift Horse“ heißt. In „Roy“ singt er von der Verletzlichkeit, die durch wahre Liebe entstehen kann. „Babe / Baby / I’m a smart man / But I’m dumb for you“, greint Talbot zu einem rumpelnden Walzer-Rhythmus. Die Lead-Single „Dancer“, bei der Genre-Experten James Murphy und Nancy Whang von LCD Soundsystem als Background-Gesang fungieren, huldigt das Gefühl, sich einem engen Tanz mit aller Körperlichkeit hinzugeben: „Dancing cheek to cheek / Dance, oh dance, goddamn dance“. „POP POP POP“ feiert fast schon fröhlich die Lebenslust und enthält die spaßige, deutsche Wortschöpfung „Freudenfreude / Joy On Joy / Cheerleader / Happy Boy“. In „Grace“ wird es dann fast kitschig, wenn Talbot zart flüstert: „No god, no king / I said, love is the thing“. Schon im März stehen Idles in Deutschland wieder auf der Bühne und dann werden sich die Jungs sicher wieder von ihrer wilden Seite zeigen. Gern wäre ich wieder dabei, aber zu spät. Das Konzert in meiner Nähe (21.03.24, Palladium, Köln) ist ausverkauft.
Alle Konzerttemine:
15.03.24 Berlin, Max-Schmeling-Halle
16.03.24 Hamburg, Sporthalle
21.03.24 Köln, Palladium – ausverkauft
22.03.24 München, Zenith
23.03.24 Frankfurt, Jahrhunderthalle
Joy as an Act of Resistance • Album-Review
Textausschnitt aus „Danny Nedelko”
My best friend is an alien
(I know him, and he is)
My best friend is a citizen
He’s strong, he’s earnest, he’s innocent
Brutalism (2017) heißt das erste Album der (Post-) Punkband aus Bristol, und es so klingt es auch: brutal, hart und laut. Nur anderthalb Jahre später erscheint nun der Nachfolger „Joy as an Act of Resistance“ und hat ebenfalls eine gewaltige Schlagkraft. Schon bei dem ersten Idles-Album ließen die Texte Talbots aufhorchen, so auch bei dem jetzt bei dem Folgealbum. Es sind teilweise Slogans für die Ewigkeit. In seiner herzergreifenden, sensiblen Ballade „June“ trauert er um seine tot-geborene Tochter, indem er Hemingway zitiert. In dem gewaltigen „Never Fight A Man With A Perm“ reißt er sein Gegenüber lyrisch auseinander. „Danny Nedelko“ ist einem Freund und Einwanderer aus der Ukraine gewidmet und ein inniger Appell zu mehr Solidarität gegenüber Immigranten. „Samaritans“ räumt mit der falschverstandenen Männlichkeit auf und zeigt Emotionen — da wird dann auch kurzerhand eine Katy Perry Hit-Zeile umformuliert: „I kissed a boy and I liked it“. Dabei versucht Talbot nicht, die Welt zu reparieren: „Ich spreche nur darüber, wie ich meine repariere.“ Alles absolut correct also bei den Idles und das gerne eingebettet in ein herrliches Post-Punk-Gewitter. Eingängige Melodien, Rotzgesang und wundbares Punkrock-Gerumpel, die Gitarren sägen, der Bass treibt nach vorne und das Schlagzeug brettert einen klaren Beat – da kann man auch schon mal herrlich mitgrölen und ‑hüpfen. Auf der Bühne geht es dann auch entsprechend rau, verschwitzt, laut und wütend zu — und alles ist in Bewegung. Live sind sie ein echtes Vergnügen — und man sollte sie mal gesehen haben!