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Italia 90

Ita­lia 90 ist eine rohe und hoch poli­ti­sche Truppe, die ursprüng­lich aus Brigh­ton stammt jetzt aber im Süden Lon­dons lebt. Das Quar­tett besteht aus Cap­tain ACAB, J Dan­ge­rous, Les Mise­ra­ble und Bobby Por­trait — keine Ahnung, wel­che rea­len Per­so­nen sich dahin­ter ver­ber­gen. Und über­haupt: Ita­lia 90 — spielt der Name auf die WM 90 in Ita­lien an, bei der Eng­land im Spiel um Platz 3 gegen Ita­lien 2:1 ver­lor (und Deutsch­land Welt­meis­ter wurde)? Wahr­schein­lich — aber, was man mit Sicher­heit weiß: Ita­lia 90 ist eine wei­tere Band, die regel­mä­ßig im The Wind­mill in Brix­ton auf­tritt und sich dort wie so viele andere vor ihnen einen Namen ver­schafft hat. Ihre The­men sind Poli­zei­bru­ta­li­tät, die Ver­bre­chen der Sol­da­ten in Nord­ir­land und die Macht der Kir­che in Nord­ir­land. Musi­ka­lisch wird eine wun­der­bare Genre-Melange ser­viert: Mit dem New Wave, Goth-Rock, Post-Hard­core, Jazz und Jungle Mix wird hier Post-Punk zwar nicht neu defi­niert, aber enorm berei­chert und mit einer gesun­den Härte und Direkt­heit vorgetragen.

Italia 90
Living Human Treasure

Ver­öf­fent­licht: 20. Januar 2023
Lavek: Brace Yours­elf Records

Tread the bodies down
Flesh and bone under mud and stone
Residual influence
Smash the influence

Text­aus­schnitt aus „Mag­da­lene”

„Mir lie­gen die Dinge, über die ich singe, sehr am Her­zen“, sagt Sän­ger Les Mise­ra­ble, „aber ich glaube nicht, dass ich es sein muss, der das sagt. Ich habe mei­nen Stand­punkt und denke, dass die Ideo­lo­gie, die ich in den Songs ver­trete, rich­tig und sehr wich­tig ist, aber es ist nicht wich­tig, dass ich es bin, der sie sagt. Wenn ich das täte, würde ich bereits den Din­gen wider­spre­chen, die ich in den Lie­dern sage.“ Man möchte sich also nicht in den Vor­der­grund schie­ben, die Bot­schaft ist ent­schei­dend. Ent­spre­chend ist das Album­co­ver auch anonym. Man sieht eine Men­schen­gruppe von hin­ten, Namen oder Bezeich­nung sind nicht sicht­bar. Den Album­ti­tel selbst kann man als Anspie­lung auf das 1993 ein­ge­rich­tete und nach Inkraft­tre­ten 2003 ein­ge­stellte Pro­gramm der UNESCO sehen. Das Pro­gramm „Living Human Tre­asure“ (Leben­dige Schätze der Mensch­heit) sollte die Mit­glied­staa­ten dazu ermu­ti­gen, begabte Tra­di­ti­ons­trä­ger und Prak­ti­ker offi­zi­ell anzu­er­ken­nen und so zur Wei­ter­gabe ihres Wis­sens und ihrer Fähig­kei­ten an die jün­ge­ren Gene­ra­tio­nen beizutragen.

Das Album star­tet mit einem dump­fen moto­ri­schen Klop­fen, über das sich lang­sam sägende Gitar­ren schie­ben und schnei­dende Vocals slo­gan­mäs­sig „The ban­ners in your win­dows get lou­der as your silence grows“ bel­len. Das erin­nert alles ein biss­chen an die frü­hen Wire und es kann sich durch­aus ein Retro-Gefühl ein­stel­len, das beim Hören des gesam­ten Albums bestehen bleibt. Aber die akzen­tu­ierte, scharfe Instru­men­tie­rung und die pole­mi­sche, linke Lyrik erin­nern immer wie­der daran, dass wir uns in den 2020er Jah­ren befin­den. So ist „Living Human Tre­asure“ ein wun­der­bar auf­re­gen­des und unter­halt­sa­mes Album mit einem kal­ten, rohen und direk­ten Sound, das man in sei­ner simp­len, düs­te­ren Art durch­aus in der Tra­di­tion des 70er Jahre Punk ver­or­ten kann. Dabei haben Ita­lia 90 etwas zu sagen, und sie benen­nen die Unge­rech­tig­kei­ten um sich herum laut und deut­lich. Jeder, der Post-Punk liebt und ver­ehrt, sollte die­ses Album zumin­dest ein- oder zwei­mal auf­le­gen. Und mit Sicher­heit wird ihn die­ses Album dann auch über das ganze Jahr begleiten.