Eine Neujahrsansprache, die wir alle brauchen: Die Gruppe Ja, Panik reagiert auf den aktuellen Rechtsruck in Europa – insbesondere in ihrem Heimatland Österreich – mit einem bemerkenswerten Statement und einem wöchentlichen musikalischen Beitrag.
Nachdem Anfang Januar eine tragfähige Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS in Wien gescheitert ist, steigen die Chancen der rechtspopulistischen FPÖ, gemeinsam mit der ÖVP als Juniorpartner die Regierung zu stellen – und ihren Spitzenkandidaten Herbert Kickl ins Kanzleramt zu heben. In einem offenen Brief formulieren über 150 Kulturschaffende die gravierenden Auswirkungen, die eine Regierungsbeteiligung der FPÖ auf die Kulturlandschaft hätte. Dass FPÖ-Chef Herbert Kickl drastische Kürzungen im Kulturbereich plant, ist unbestritten. So erklärte er etwa: „Die Wiener Festwochen, diese Woke-Scheiß-Veranstaltung, und der Eurovision Song Contest werden das Erste sein, was abgeschafft wird, wenn ich an der Macht bin.“ In der Erklärung der Kulturschaffenden heißt es daher unmissverständlich: „Die FPÖ ist in keiner Regierungskonstellation tragbar. Schon die bloße Aussicht, dass sie regieren könnte, führt dazu, dass sie sich offen für Zensur ausspricht. Kunst und Kultur gehören seit 30 Jahren zu den Feindbildern der FPÖ.“
Ästhetischer Widerstand
Diese Entwicklungen treiben auch Andreas Spechtl, Mitglied der österreichischen Band Ja, Panik, um. Er ruft zum „ästhetischen Widerstand“ auf und warnt: „Es muss klar sein, dass Faschismus nicht nur als politisches System funktioniert, sondern dass er nur funktionieren kann, wenn er auch in die Kultur eindringt.“ Ruhig, aber entschlossen und mutig wendet er sich per Videobotschaft an die Öffentlichkeit: „Hallo zusammen, ich möchte heute über etwas Wichtiges sprechen. Es ist an der Zeit, dass wir zu den Wurzeln dessen zurückkehren, was vor vielen Jahren der Grund war, die Gruppe Ja, Panik ins Leben zu rufen. Wir hatten viel für dieses Jahr geplant – Veröffentlichungen, Konzerte, Kollaborationen. Doch angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen müssen wir unsere Pläne anpassen.“
Stattdessen will die Band nun jede Freitag einen neuen Song auf der eigens eingerichteten Website der Band kostenlos veröffentlichen. Auch auf den gängigen Streamingplattformen werden die Songs zu hören sein – monatlich aktualisiert.
Die Band bittet um Unterstützung
Gleichzeitig ruft Spechtl zur Mithilfe auf, denn der Widerstand könnte lange andauern: „Wir brauchen viele Ideen. Auf der Homepage von Ja, Panik findet ihr eine E‑Mail-Adresse und eine Telefonnummer, über die ihr uns etwas hinterlassen könnt – einen Text, der euch schon lange begleitet, eine Handyaufnahme, Songskizzen, Sprachnachrichten. Wir können alles gebrauchen.“
Das ungekürzte Statement der Band
Hallo zusammen,
ich möchte heute über etwas Wichtiges sprechen. Es ist an der Zeit, dass wir zu den Wurzeln von dem zurückkehren, was für uns vor vielen Jahren der Grund war, die Gruppe Ja, Panik ins Leben zu rufen. Wir hatten einiges geplant für dieses Jahr, viele Veröffentlichungen, Konzerte, Kollaborationen.
In Anbetracht der aktuellen politische Entwicklungen müssen wir unsere Pläne jedoch der Situation anpassen. Es haben wohl mittlerweile alle mitbekommen, wer in Österreich gerade dabei ist die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Und so haben wir uns entschlossen, diesen furchteinflößenden Jahren, die vor uns liegen, etwas entgegenzusetzen. Wir werden, solange diese rechtsextreme und menschenverachtende Regierung in Österreich an der Macht sein wird, jede Woche neue Musik veröffentlichen. Für uns, für euch, für alle, die sich alleine fühlen, für alle, die Angst haben. Und wir haben zurecht Angst. Es geht um unsere Orte, unsere Sprache, unsere Radios und Plattformen, unsere Gesundheit und soziale Absicherung.
Wir wissen, dass es nicht nur um Kontrolle, sondern um die Zerstörung von Wahrheit und Realität geht. Genau das erleben wir, wenn man von der sogenannten freien Meinungsäußerung fabuliert. Dazu kursiert ein weiterverbreitetes Missverständnis, das in die Irre führt. Freie Meinungsäußerung bedeutet nicht, dass alles, was gesagt werden kann, auch gesagt werden darf und schon gar nicht muss. Diese Vorstellung selbst ist im Kern schon faschistisch. In einer Gesellschaft, die sich selbst als frei begreift, ist der Mensch gezwungen, sich zurückzuhalten – es ist dies eine uralte Technik der Zivilisation. Über Jahrtausende hinweg hat man sich genau daran abgearbeitet. Mal mit mehr Erfolg, mal mit weniger. Zugegebenermaßen. Aber am Ende müssen wir uns der Verantwortung für unsere Worte und Taten bewusst sein. Alles andere ist Barbarei oder führt auf schnellstem Wege genau dahin. Und genau dieses Bewusstsein ist es, was zerstört werden soll. Man will uns in einen Zustand versetzen, in dem wir die Bedeutung unserer Worte nicht mehr begreifen. Die Konsequenzen unserer Handlungen ausblenden. Und uns weismachen, dass es keinen Horizont gibt, hinter den riesigen Berglandschaften vor unseren Köpfen.
Aber es muss klar sein, dass der Faschismus nicht nur als politisches System funktioniert, sondern dass er nur funktionieren kann, wenn er auch in die Kultur eindringt. Auf was für Werte sollen wir uns stützen, wenn sie das Gute ins Böse, die Freiheit in Unterdrückung, Liebe in Hass verkehren. Genau diese Dynamik erleben wir heute. Insofern stehen wir nicht nur vor einem politischen Problem, sondern vor allem vor einem kulturellen. Und so darf unser Widerstand nicht nur politisch sein, sondern muss unbedingt auch ein ästhetischer sein.
Sie haben uns am Radar, wir stehen auf ihrer Liste?
Wir haben sie im Blick.
Wir wissen, wer sie sind.
Unsere Gedanken, unsere Ideen lauern hinter jeder Ecke.
Überall, wo sie hinschauen, sind wir schon da.
Sie werden nicht das Terrain bestimmen, auf dem dieser Kampf stattfinden wird.
Wir werden sie abpassen, hinter jedem Gedankengang, in jede Faser ihres Körpers.
Das Terrain bestimmen wir.
Wir lassen uns nicht einschüchtern.
Wir wissen genau, dass man ihren Gesetzen nicht trauen kann. Sie sind dafür da, uns klein zu halten, uns zu brechen, uns zu entmutigen. Aber wir werden keine Gesetze befolgen, die xenophob und menschenverachtend sind. Wir werden keine Gesetze anerkennen, die misogyn, homophob und transphob sind, rassistisch oder klassistisch. Wir werden diese Gesetze brechen. Mit jedem Atemzug, in jedem Schritt, jedem Text und jedem Lied.
Man kann uns anzeigen, beschimpfen, verunglimpfen. Es ist uns egal. Wir brauchen sie nicht zu beschimpfen. Wir brauchen keine Lügen über sie zu verbreiten. Wir können bei der Wahrheit bleiben. Und die einzige Wahrheit, die es über sie zu sagen gibt, ist, dass sie Nazis sind.
Ja, wir wissen, es werden keine schönen Jahre. Aber wir werden sie ein bisschen schöner machen. Ein bisschen erträglicher. Wer uns dabei unterstützen will, ist herzlich eingeladen, uns Ideen zukommen zu lassen. Denn es könnte eine lange Zeit sein. Wir brauchen viele Ideen. Auf der Homepage der Gruppe Ja, Panik findet ihr eine Email-Adresse und ein Telefonnummer, über die ihr uns etwas zurücklassen könnt. Einen Text, der euch schon lang begleitet. Eine Handyaufnahme, Songskizzen, Sprachnachrichten. Wir können alles gebrauchen.
In diesem Sinne.
Es grüßt euch herzlich
die Gruppe Ja, Panik