Jazz ist ja eigentlich nicht so mein Ding: Aber die US-amerikanische Jazztrompeterin und Komponistin Jaimie Branch zieht einen mit ihrem radikalen Gestus unweigerlich in ihren Bann. Die Chicagoerin gilt als eine Jazz-Erneuerin, die sich nicht groß um Genre-Grenzen schert. Ihr freier Jazz, den sie mit einer gehörigen Punk-Attitüde vorträgt, verbindet Post-Rock mit Improvisation und jeder Menge Wut. Sie galt als eine der großen Hoffnungen des Jazz. Im August 2022 ist sie im Alter von nur 39 Jahren in New York überraschend gestorben.
Jaimie Branch
Fly or Dy
Veröffentlicht: 5. November 2021
Label: International Anthem
War ihr Debüt „Fly or Die“ noch rein instrumental, so tritt Branch auf dem Nachfolger-Album „Fly or Die II: Bird Dogs of Paradise“ auch als Sängerin auf. „So viel Schönheit liegt in der Abstraktion der Instrumentalmusik”, sagt Branch in den Liner Notes des Albums, „aber da dies keine besonders schöne Zeit ist, habe ich einen wörtlicheren Weg gewählt. Die Stimme ist gut dafür.“ Und so schimpft und wütet sie in dem zweiten Track „prayer for amerikkka Pt. 1&2“ über „einen Haufen breitäugiger Rassisten“, während sie mit ihrer Trompete einen wuchtigen, tiefgestimmten, treibenden Blues anstimmt. Gemeinsam mit ihrer Band, die aus dem Drummer Chad Taylor vom Chicago Underground Duo, dem Bassisten Jason Ajemian und dem Cellisten Lester St. Louis besteht, erzeugt sie eine unheimliche, düstere Stimmung voller Dissonanzen und Unruhen. Es ist ein im höchsten Maße politisches Album, es beschreibt ein Land, in dem Arschlöcher, Clowns und großäugige Rassisten die Machtpositionen besetzen. Aber es gibt auch positive Momente. „nuevo roquero estéreo“ groovt in einem leichten, flockigen Chicago-Jazz-Stil, bei dem sich der Beat in einem Zwei-Schritt-Rhythmus verfestigt und der von der Trompete mit einer eingängigen, hellen Melodie begleitet wird. Bei aller wilder Schönheit und Kraft ist dieses Live-Album sicherlich keine einfache Kost, aber man muss es einfach mögen.