Der amerikanische Saxofonist James Chance, der in den Siebzigern den sogenannten No-Wave entscheidend mitprägte, ist am 18. Juni 2024 im Alter von 71 Jahren verstorben.
Chance, mit ursprünglichem Namen James Alan Siegfried, wird in Milwaukee, Wisconsin geboren. In jungen Jahren lernt er an einer katholischen Grundschule unter der Anleitung von Nonnen Klavier, später mit 18 Jahren wechselt er zum Altsaxofon. In den Siebzigern zieht er nach New York und nennt sich nun James Chance. Er spielt zeitweise mit Lydia Lunch bei Teenage Jesus and the Jerks und gründet 1977, inspiriert von Alan Vegas Suicide, seine eigene Band The Contortions. Auch wenn Albert Ayler sein großes Vorbild ist, imitiert er ihn nicht, sondern entwickelt einen eigenen, freigeistigen Sound aus Punk, Disco und Funk. Mit Bands wie Mars und DNA etabliert er die kurzlebige No-Wave-Bewegung. Mit der von Brian Eno produzierten Compilation „No New York“ erscheint 1978 so etwas wie der Soundtrack dieser Szene. James Chance And The Contortions covern darauf unter anderem „I Can’t Stand Myself“ von James Brown, ebenfalls ein großes Vorbild des Saxofonisten. Für das 1979 veröffentlichte Album „Off White“ benennt sich James Chance sozusagen als Spiegelbild von James Brown in James White um, und auf dem Livealbum „Aux Bains Douches“ gibt es zwei großartige Coverversionen von James Brown, „I Got You (I Feel Good)“ sowie „King Heroin“. „Mehr Saxofone, schafft die Gitarren ab, schafft die Keyboards ab, gebt mir Saxofone!“, textet der deutsche Popkritiker Diedrich Diederichsen 1980 in einer Plattenkritik zum Album.
Der Terrorist mit dem Horn
Ein Jahr später hebt das Musikmagazin „Sounds“, für das Diederichsen schreibt, James Chance sogar auf die Titelseite. Die Covergeschichte ist mit „Der Terrorist mit dem Horn“ betitelt und spielt auf die aggressive Bühnenpräsenz des Saxofonisten an, der das Publikum gelegentlich auch mit körperlicher Gewalt angeht. Für den Film „Grützi Elvis“ des Regisseurs Diego Cortez, der den Tod Elvis Presleys mit Stammheim und den einsitzenden RAF-Terroristen in Beziehung setzt, steuert James Chance den Soundtrack bei (darunter den Song „Schleyer’s Tires“). Aber die Euphorie der Sturm- und Drangzeit dieser No-Wave-Ära ist auch schnell wieder vorbei. Viele von Chances Wegbegleiter*innen sterben an Überdosen, er selbst wird nach seiner Heroinabhängigkeit wieder clean, verschwindet allerdings in der Versenkung und gibt mit gelegentlichen Gastauftritten und Tourneen nur noch sporadische Lebenszeichen. Am 18. Juni 2024 ist James Chance im Alter von 71 Jahren in New York gestorben. Die Todesursache ist derzeit nicht bekannt, wohl aber, dass der Musiker schwere gesundheitliche Probleme hatte. Ende 2023 hatten Freund*innen eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um die Kosten der medizinischen Behandlung zu decken.