Ein doppelter Paukenschlag

Durch­schnitt­li­che Lese­dauer 3 Minu­ten

John Grant
6. November 2024 • Kulturkirche, Köln

This is my church – this is where I heal my hurts

Mor­gens die Wahl Trumps in Nord­ame­rika, abends das Ende der Ampel-Regie­rung in Deutsch­land – bei solch einem „Dop­pel-Wumms“ (um das Unwort von Olaf Scholz zu zitie­ren) hilft nur noch ein demü­ti­ger Kirch­gang. Doch heute Abend wird in der Kul­tur­kir­che Köln nicht gebe­tet, son­dern musi­ziert: Kein Gerin­ge­rer als der ame­ri­ka­ni­sche Song­wri­ter und Grün­der von The Czars, John Grant, gibt sich die Ehre. Ein wei­te­rer Grund zur Vor­freude: Die bri­ti­sche Band Big Spe­cial heizt als Sup­port-Act mit ihrer Ver­sion des Kit­chen-Sink-Rocks die Stim­mung an. Das Kon­zert, ursprüng­lich für 20 Uhr ange­setzt, wurde auf 19:30 Uhr vor­ver­legt – hof­fent­lich bedeu­tet das, dass die Bri­ten etwas mehr Zeit haben, um das Publi­kum in Stim­mung zu bringen.

Harte Beats aus der Arbeitermetropole

Pünkt­lich um halb acht betritt das DIY-Post-Punk-Duo Big Spe­cial die Bühne. Callum Mol­ony nimmt sei­nen Platz am Schlag­zeug ein, wäh­rend Joe Hick­lin mit sei­nem blue­si­gen Bari­ton den Auf­takt macht. Viele im Publi­kum ken­nen die Band ver­mut­lich nicht, aber schon nach weni­gen Minu­ten dürfte klar sein: Die­ser krat­zige Sound mit wuch­ti­gem Syn­the­si­zer und rohem „Spuck-Rap“ kann nur aus Groß­bri­tan­nien kom­men. Die nächs­ten drei­ßig Minu­ten geht’s ent­spre­chend immer schön auf die Zwölf. Das Duo aus Bir­ming­ham gibt einige sei­ner Ham­mer­songs des aktu­el­len Albums „Post­in­dus­trial Home­town Blues“ zum Bes­ten – Songs wie „Shit­house“, „This Here Ain’t Water“ und „Dust Off / Start Again“ sind extrem ener­ge­tisch und zie­hen das Publi­kum unwei­ger­lich in ihren Bann. Die Songs strot­zen vor Ener­gie und sozi­al­kri­ti­schem Humor. Hick­lin schöpft stimm­lich von Spo­ken Word bis R’n’B aus dem Vol­len, wäh­rend Mol­ony den kraft­vol­len Beat lie­fert, dabei ist es schon schräg, wie das Publi­kum diese fes­selnde Live-Per­for­mance artig von den Kir­chen­bän­ken aus ver­folgt. Ein Ein­druck bleibt: Hier bahnt sich eine neue Band­kar­riere an, und nicht wenige grei­fen zum Handy, um mehr über die­ses ener­gie­ge­la­dene Duo zu erfahren.

Elektronische Grooves auf Kirchenbänken

John Grant, ein eta­blier­ter Sin­ger-Song­wri­ter mit einer Reihe bril­lan­ter Alben, über­rascht das Publi­kum gleich zu Beginn. So elek­tro­nisch und club-taug­lich hatte ich ihn nicht erwar­tet: Mit einer über­di­men­sio­nier­ten Key­tar zeigt er sofort, wohin die Reise geht. Songs wie „Intro Ennio“, „All That School For Not­hing“ und „Black Belt“ prä­sen­tie­ren sich in einem club­bi­gen Elek­tro-Dance-Gewand – das Publi­kum ver­harrt aller­dings andäch­tig auf den Kir­chen­bän­ken und wiegt nur dezent Kopf und Schul­tern im Takt. Grants drei Mit­mu­si­ker erwei­sen sich dabei als viel­sei­tige Mul­ti­in­stru­men­ta­lis­ten und wech­seln mühe­los zwi­schen Syn­the­si­zern, Bass, Schlag­zeug, Kla­vier und Gitarre. Die ers­ten Stü­cke offen­ba­ren eine über­ra­schend fun­kige Seite des Sin­ger-Song­wri­ters, der auch gerne ein­mal den Voco­der einsetzt.

In der Mitte des Kon­zerts folgt ein Bruch: Grant nimmt Platz am Kla­vier und singt ohne Band-Beglei­tung. Bevor er beginnt, begrüßt er das Publi­kum in akzent­freiem Deutsch und erwähnt, er sei froh, hier zu sein und nicht in dem „ver­piss­ten Ame­rika“ – eine Anspie­lung auf den Wahl­sieg Trumps. Nach wei­te­ren Aus­füh­run­gen bemerkt er: „Ich musste das los­wer­den, aber jetzt halt ich das Maul und werde sin­gen.” Und star­tet mit „Zeit­geist“, einem Song aus sei­nem aktu­el­len Album „The Art of the Lie“ – ein Titel, der fast zwangs­läu­fig auf Donald Trump hin­weist. Auch Stü­cke wie „It’s Easier“ und „Daddy“ kom­men nun redu­ziert und pur zur Gel­tung, und Grants Bari­ton ent­fal­tet sich unge­fil­tert und unver­frem­det. Mit der fra­gi­len Bal­lade „Father“ keh­ren die Band und die elek­tro­ni­schen Ele­mente zurück, und das Kon­zert mün­det in eine beschleu­nigte Inter­pre­ta­tion von „Chi­cken Bones“ aus „Queen of Den­mark“. Gegen Ende des Songs ver­lässt Grant die Bühne und seine Mit­mu­si­ker las­sen den Song in einem eksta­ti­schen Boo­gie ausklingen.

Zur Zugabe erscheint Grant in einem neuen, pre­di­ger­haf­ten Out­fit – pas­send zur Atmo­sphäre in der Kir­che. Der Abend endet mit „GMF“ einem sei­ner bekann­tes­ten Stü­cke, bei dem er auf dem Album von Sinéad O’Connor beglei­tet wird. Schö­ner könnte der Abend nicht enden: „‚I am the grea­test mother­fu­cker / That you’re ever gonna meet“ John Grants Schluss­worte danach: „Ich hab euch ganz lieb. Bis bald!“ 

Gloria

Auf dem Heim­weg beglei­tet mich „Hid­den Tracks“ von Byte​.fm mit eini­gen fan­tas­ti­schen Songs – bis Mode­ra­tor Kai Bem­preiksz den ita­lie­ni­schen Sam­pler „Holy Beat – A Coll­ec­tion of 60’s Ita­lian Chris­tian Beat“ ankün­digt. Nach einem Kon­zert in der Kul­tur­kir­che eigent­lich pas­send, doch bei Songs wie „Glo­ria“ und „Pater Nos­ter“ bin ich raus. Ich wechsle den Sen­der und erfahre in den Nach­rich­ten, dass Olaf Scholz den Finanz­mi­nis­ter ent­las­sen hat. Hatte Scholz etwa eine gött­li­che Ein­ge­bung? So endet ein Tag mit zwei dop­pel­ten Pau­ken­schlä­gen: poli­tisch mit zwei ein­schnei­den­den Ent­schei­dun­gen und musi­ka­lisch mit zwei her­vor­ra­gen­den Shows.