Der US-amerikanische Musiker, Komponist und Produzent John Zorn wurde am 2. September 1953 in New York City geboren. Aufgewachsen in Queens, begann er schon früh, verschiedene Instrumente zu lernen – darunter Gitarre, Klavier und Saxophon, das später sein Markenzeichen wurde. Nach einem kurzen Abstecher an die Webster University in St. Louis zog es ihn zurück in die pulsierende New Yorker Musikszene der 1970er Jahre. Dort wurde er schnell bekannt für seine experimentellen Ansätze und seine wilden, energiegeladenen Performances. Sein Werk umfasst eine beeindruckende Bandbreite an Genres, darunter Jazz, klassische Musik, Avantgarde, Rock, Klezmer und Filmmusik. Eines seiner bekanntesten Projekte ist die Band Masada, die Elemente der jüdischen Klezmer-Musik mit Jazz und freier Improvisation verbindet. John Zorn ist jüdischer Abstammung mit osteuropäischen Wurzeln, und das Judentum spielt eine zentrale Rolle in seinem künstlerischen Werk. Dies zeigt sich besonders in Projekten wie Masada, einer Serie von Kompositionen, die von jüdischer Klezmer-Musik inspiriert ist, sowie in zahlreichen anderen Arbeiten, die sich mit jüdischer Geschichte, Kultur und Spiritualität auseinandersetzen. Auch sein Plattenlabel Tzadik, das er 1995 gründete, spiegelt seine jüdische Herkunft wider. Der Begriff „Tzadik“ stammt aus dem Hebräischen und bedeutet so viel wie „Gerechtigkeit“ oder „Rechtschaffenheit“. Auf diesem Label hat Zorn zahllose Alben von sich und anderen Künstlern veröffentlicht und sich als Förderer innovativer Musik etabliert. Zorns Musik haftet stets etwas Visuelles, fast Filmisches an. Kein Wunder also, dass er auch für einige Filme Musik geschrieben hat – von Independent-Produktionen bis hin zu Filmen von Regisseuren wie Michael Haneke. Seine Alben, wie „Naked City“ oder die umfangreiche Masada-Reihe, sind Kult und ein Beweis für seinen schier unerschöpflichen Ideenreichtum. Sein Lebenswerk, das weit über 200 Veröffentlichungen umfasst, wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter ein MacArthur „Genius Grant“. Doch am Ende geht es bei John Zorn nicht um Auszeichnungen, sondern um die Musik – und die ist bei ihm immer ein Abenteuer.
John Zorn
(Brian Marsella, Jorge Roeder, Ches Smith)
Ou Phrontis
Veröffentlicht: 9. Dezember 2024
Label: Tzadik
John Zorns Album „Ou Phrontis“ wird am 9. Dezember 2024 über Zorns eigenes Label Tzadik veröffentlicht und präsentiert sieben Kompositionen, die von stoischer Philosophie und Wissenschaft inspiriert sind. „Ou Phrontis“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Wer kümmert sich?“, aber auch „Keine Sorgen“ oder „Frei von Angst“. Ein Verweis auf T. E. Lawrence: „Ou Phrontis“ prangt über der Tür von Lawrences idyllischem Häuschen Clouds Hill in der Grafschaft Dorset im Südwesten Englands. Diese Inschrift symbolisiert einen Ort, an dem Lawrence sich zu Hause fühlte – frei von allen Sorgen der Welt. Bereits der erste Track gibt einen weiteren Hinweis auf den britischen Offizier, Archäologen, Geheimagenten und Schriftsteller: „Seven Pillars of Wisdom“ (Die sieben Säulen der Weisheit) ist ein 1926 erschienener autobiografischer Kriegsbericht von Lawrence. Darin schildert er den von ihm organisierten arabischen Aufstand gegen das Osmanische Reich in den Jahren 1917/1918 – ein Werk voller historischer und philosophischer Tiefe. Doch wie so oft bei John Zorn sind die Titel bewusst mehrdeutig und lassen Raum für individuelle Interpretationen. So kann der Opener auch als Referenz auf den biblischen Vers „Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, sie hat ihre sieben Säulen behauen“ verstanden werden, der auf göttliche Weisheit und spirituelle Erkenntnis hinweist. Ebenso existieren in der islamischen Mystik die sieben Stufen der Erleuchtung, die auf dem Weg zur göttlichen Erkenntnis eine Rolle spielen – ein Aspekt, den auch T. E. Lawrence gekannt haben dürfte. Zorn lässt sich in seinen Kompositionen immer wieder von interkulturellen und spirituellen Themen inspirieren, doch seine Titel bleiben bewusst offen für verschiedene Deutungen.
Komplex und tiefgründig
Auf „Ou Phrontis“ spielt Zorn selbst kein Instrument, er agiert hier ausschließlich als Komponist und künstlerischer Leiter. Zorns Kompositionen werden von einem klassischen Jazz-Trio eingespielt, bestehend aus Brian Marsella am Klavier, Jorge Roeder am Bass und Ches Smith am Schlagzeug. Es ist die vierte gemeinsame Produktion dieses dynamischen Ensembles, nach „Suite for Piano“, „The Fourth Way“ und „Ballades“. Ihr nahezu blindes Zusammenspiel und ihre Virtuosität kommen hier ein weiteres Mal zur Geltung: Vom energiegeladenen Einstieg mit rhythmischen Klavierfiguren und einem dichten Zusammenspiel zwischen Bass und Schlagzeug im Opener „Seven Pillars of Wisdom “über das sehnsüchtige „A Faithful Longing“ mit seinen melancholischen Klavierpassagen bis hin zum jazzigen „The Arrow of Time“ mit seinem wunderbaren Wechselspiel zwischen melodischen Pianofiguren und treibendem Schlagzeug. „Ou Phrontis“ überzeugt über eine Gesamtlaufzeit von etwa 40 Minuten mit seinen vertrackten Rhythmen und teils schrägen Harmonien. Natürlich verweigert es sich der üblichen Songstruktur aus Strophe, Refrain und Zwischenspiel – doch genau das macht den Reiz des Albums aus. Es braucht mehrere Durchläufe, um die Qualität dieser Musik in ihrer ganzen Tiefe zu erfassen – und immer wieder entdeckt man hörbar Neues.
Hässlich und ungelenk
Leider ist das Albumcover nicht so gelungen, wie der Inhalt: Eine ungelenke Collage, in der eine geöffnete Tür auf einem Hintergrund von mathematischen Formeln und Notizen abgebildet ist, die wohl auf die wissenschaftlichen und philosophischen Themen des Albums hinweisen wollen. In der unteren rechten Ecke befindet sich ein Porträt von Immanuel Kant – ebenfalls ein Hinweis auf die stoische Philosophie und die wissenschaftlichen Inspirationen, die Zorn für dieses Werk beeinflusst haben. Die Gestaltung spiegelt somit die intellektuellen und philosophischen Themen wider, die das Album prägen. Das hätten man allerdings auch grafisch ansprechender erreichen können.