Kim Gordon wird am 28. April 1953 in Rochester, New York geboren — wobei es auch Quellen gibt, die das Jahr 1958 als Geburtsjahr nennen. Wie auch immer, fest steht: Sie ist eine der führenden Frauen in der Rockgeschichte. In erster Linie, weil sie als Bassistin und Sängerin der No-Wave-/Noise-Rock-Band Sonic Youth maßgeblich deren Sound mitbestimmt. Diese bis heute stilprägende Ausnahmeband gründet sie 1981 zusammen mit Thurston Moore und Lee Renaldo in New York. Schnell werden sie mit ihrer Mischung aus Punk, Post-Punk, Hardcore und No Wave zu einer der Kultbands der 90er Jahre. Bis heute beeinflussen sie noch eine Unzahl von Rockbands und gelten für viele als Blaupause einer experimentellen Indie-Band. Kim Gordon lässt sich allerdings nicht auf Sonic Youth reduzieren. Mit ihrer eigenen Band Free Kitten veröffentlicht sie diverse Alben, das letzte „Seasick“ 2008. Mit dem Gitarristen Bill Nace bildet sie das Noise-Gitarren-Duo Body/Head. Sie führt Regie für Videos der Band The Breeders, modelt für Calvin Klein und gründet mit X‑Girl und Mirror/Dash eine eigene Modelinie. Ihre Autobiographie „Girl in a Band“ ist. absolut empfehlenswert. Hier erzählt sie von den Anfängen im New York der frühen Achtzigerjahre, von ihrem Leben als Musikerin, bildende Künstlerin und Modedesignerin und auch von Ihrer Trennung nach fast 30 Jahren Ehe mit Thurston Moore.
Buy a suitcase, pants to the cleaner / Cigarettes for a killer
Textausschnitt aus „BYE BYE”
Call the vet, call the groomer, call the dog sitter
Milk thistle, calcium, high-rise, boot cut, Advil, black jeans
Blue jeans, cardigan, purse, passport, pajamas, silk
Am 8. März erschien Gordons zweites Soloalbum mit dem Titel „The Collective“ und es klingt ähnlich aufregend wie ihr vorangegangenes Debüt „No Home Record“ von 2019. Wie auf ihrem Erstling kombiniert sie auf „The Collective” düstere Trap Beats und apokalyptischen Industrial-Lärm mit ihrem typischen Sprechgesang, der bereits zu Sonic-Youth-Zeiten einzigartig und stilprägend war. Überhaupt scheint Gordon deutlich innovativer und experimentierfreudiger als ihre ehemaligen Bandkollegen. Während Lee Renaldo doch eher klassische Rockalben veröffentlicht und Thurston Moore weiterhin den Sonic-Youth-Gitarristen gibt – was unbenommen großartig ist — begibt sich Gordon auf völlig neues Gebiet.
Knarziger, kaputter Sound
Zusammen mit Justin Raisen (Lil Yacht, John Cale, Yves Tumor, Sky Ferreira), der auch bei ihrem Debüt an den Reglern saß, schafft sie trancige, noisige Songlandschaften, die fast ohne Melodien auskommen. So entstehen apokalyptische Soundflächen aus Samples, Trap Beats und Feedback-Gitarren, die als solche kaum noch zu erkennen sind. Das wirkt insgesamt bedrohlich und dekonstruktivistisch. So ist der Opener „BYE BYE“ ein sperriges Spoken-Words-Poem, das von harschen Electro-Beats und einem dumpfen Synthiebass begleitet wird. Mantra-artig zählt sie Konsumgüter auf, die sie für eine Reise einpackt: „Bella Freud, YSL, Eckhaus Latta, Eyelash curler, vibrator, teaser, bye bye, bye bye“. Der Text ist so banal wie bedeutungslos, auch wenn einige darin eine gewisse Konsumkritik erkennen wollen. Diese lautmalerische Wortcollage der ehemaligen Sonic-Youth-Sängerin schafft allerdings eine funktionierende, durchgehende Hook-Line und gibt dem Track eine feste Struktur. Andere Tracks scheinen in ihrer Aussage schon deutlicher, so lässt sich „I’m A Man“ als bissiger Kommentar auf toxische Männlichkeit deuten, wenn Kim Gordon in unnachahmlicher Weise phrasiert: „It’s not my fault I was born a man, Come on, sweet“. Der Track „It’s dark inside“ zeigt sich gänzlich als dystopische Klanglandschaft, die in einem dumpfen, fetten Bass-Sound ausläuft, und beschreibt wohl den amerikanischen, dystopischen Zeitgeist: „You want to be American / Get your gun / You’re so free / You can shoot me“. Es könnte auch ein Kommentar zur alltäglichen, düsteren Situation in L.A. sein. Dort ist sie aufgewachsen, dort hat sie studiert, dort lebt sie derzeit, dort sind auch die Songs entstanden und so sind auch sicherlich die Lyrics von „Psychedelic Orgasm“ zu verstehen: „Drive by situation underneath the freeway, nite burning fires begin, LSD, MDMA, mushrooms, unintelligible, LA is an art scene“. Unbestritten ein hartes Pflaster. Alle elf Songs des Albums sind ähnlich verstörend, anstrengend, voller Noise und Industrial, es kracht und dröhnt allenthalben. Im April wird Kim Gordon 71, ihr aktuelles Album klingt aber so frisch, so — entschuldigt — jung, so nach Revolution, dass man dahinter einen wütenden, aufgekratzten Youngster vermuten würde. „The Collective“ ist ein anstrengendes, spannendes Album – und einfach unberechenbar.
Das iPhone als Kult
„The Collective“ ist übrigens auch der Titel einer aktuellen Arbeit der Künstlerin Kim Gordon – eine sechs mal sieben Meter große Leinwand mit einer farbigen, abstrakten Grundierung, aus der unregelmäßig Löcher in iPhone-Form gestanzt sind. „Das iPhone verspricht Freiheit und Kontrolle über die Kommunikation“, sagt die Künstlerin. „Es ist ein Ventil der Selbstdarstellung und eine Flucht und eine Ablenkung vom Gesamtbild dessen, was in der Welt vor sich geht. Es ist auch nützlich, um Gemälde zu malen.“