Lucy Kruger & The Lost Boys haben bereits mit den minimalistischen Noise-Folk-Klängen ihrer „Tapes“-Trilogie Aufmerksamkeit erregt. 2018 zog Kruger von Kapstadt/Südafrika nach Berlin. Ihre alte Band Medicine Boy war in der südafrikanischen Rockszene zu einer aufstrebenden Dream-Noise-Band gereift und ein beliebter Live-Act. In Berlin stehen nach einer Zeit der Einsamkeit inklusive des Stillstands während der Pandemie alle Zeichen auf Neuanfang. Mit den Lost Boys macht sie genau das. „But it’s true / It feels like something new“ – wie es auf ihrer ersten Veröffentlichung heißt.
Textausschnitt aus „Howl”I’m on the fence / I’m on the fence
And I wanna scream / You’re beautiful
I wanna be useful
„Heaving“ ist das nunmehr fünfte Album des auf stattliche acht Mitglieder angewachsenen Projekts Lucy Kruger & The Lost Boys und ist eine überaus lebendige, vielschichtige und intime Erkundung des klanglichen Geschichtenerzählens, eingebettet in Folk, Trip-Hop und vorsichtigen Noise-Rock. Die Lyrics stützen sich dabei auf die Idee der Dichterin und Essayistin Anne Carson, wobei „jeder Klang, den wir machen, ein Stück Autobiografie ist. Er hat ein völlig privates Inneres, doch sein Werdegang ist öffentlich. Ein Stück unseres Inneren, das nach außen projiziert wird”, wie es auf der Bandcamp-Seite heißt. Die kalten, schwebenden Vocals Krugers halten alles zusammen und hauchen dem Album eine eiskalte Seele ein. Schon beim Opener „Auditorium“ geht es äußerst düster zu, wobei Krugers Stimme gleich mehrere Oktaven auf und ab geht. Der Song beschreibt die seltsame Isolation, die man in der Menge empfinden kann. Auch der Titeltrack „Heaving“, der Erinnerungen an Songs von Kate Bush weckt, handelt vom Gefühl, allein und verloren zu sein: „Touch me I’m weak / I trace the line of love / Just above the river of blood / On the body“. Eine wunderbare Gothic-Stimmung verbreitet „Howl“ mit seiner schrägen Riot-Grrrl-Attitüde. Hier heult Krügers Stimme vor aufgestautem Schmerz und Verzweiflung. „You’re beautiful / I want to be useful / I want to scream” brüllt sie. Man spürt förmlich den Schmerz. „Burning Building“ überrascht als groovender, radiotauglicher Bubblegum-Pop mit leichten Noise-Einsprengseln, dazu rufen Kruger und die Geigerin Jean-Louise Parker: „Hey girl! Let’s go!“. Das folgende „Feedback Hounds“ kommt dann wieder gedämpft mit zarter Geige und sägender E‑Gitarre daher. „I’m finding it hard to be tender, I’m finding it hard to touch…” haucht Kruger schwermütig auf „Tender“, während die Band einen dunklen, elektronischen Melodie-Teppich ausbreitet. „Undress“ mit schleppenden Beats und zartem Gitarrenpicking beendet das Album in ruhiger Harmonie und voller Sehnsucht: „Did you see the way she looked at me / I think she loves me…“ Bei alledem ist es ein sehr persönliches, feministisches Album, das in seiner Vielschichtigkeit fasziniert. Bei mir steht es derzeit auf High Rotation. Für die Chronisten unter euch hier noch alle Mitwirkenden bei dieser düsteren, aber doch sehr zugänglichen Produktion: Lucy Kruger (Gesang, Gitarre), Liú Mottes (Gitarre), André Leo (Gitarre), Andreas Miranda (Bass), Gidon Carmel (Schlagzeug, Perkussion und elektronische Produktion) und Jean-Louise Parker (Backing Vocals, Viola, Violine). Ich hoffe, dass sie uns auch weiterhin mit ihrer popangehauchten Düsternis verzaubern wollen.