Moby Dick
Schauspielhaus, Düsseldorf
von Herman Melville
Regie, Bühne und Licht: Robert Wilson
mit Songs von Anna Calvi
Heute Abend steht die Bühnenversion von Moby Dick, Herman Melvilles Meisterwerk von 1851, auf dem Programm des Düsseldorfer Schauspielhauses. Der Roman wurde zu Lebzeiten des Autors lediglich 3000 Mal verkauft, heute zählt er zu den wichtigsten Werken der Weltliteratur. Das wortgewaltige, über 900 Seiten umfassende Werk, das in insgesamt 135 Kapitel mit Überschriften gegliedert ist, wird in einer Interpretation des großen amerikanischen Regisseurs Robert Wilson aufgeführt.
Wer bereits Aufführungen des Texaners gesehen hat, ahnt, was folgt: Romanvorlage und Originaltexte spielen bei ihm eine untergeordnete Rolle. Handlung und Erzählung werden vielmehr großen, eindrucksvollen Licht‑, Kulissen- und Figurenensembles unterworfen. Wilsons Ästhetik ist geprägt von expressionistischem Spiel, subtilen Gesten, textlichen Wiederholungen sowie bildgewaltigen, aber schlichten Bühnenbildern. Ein zentraler Bestandteil seiner Inszenierungen ist die alles umfassende, mitreißende Bühnenmusik.
In Düsseldorf brillierte der mittlerweile 82-jährige US-Amerikaner bereits mit den gefeierten Inszenierungen von Der Sandmann und Dorian. Wie schon bei Sandmann stammt die Bühnenmusik auch dieses Mal von der britischen Popkünstlerin Anna Calvi.
Bildgewaltig und melodienreich
Erzählt wird eine altbekannte und schon oft gehörte Geschichte von einem uralten Erzähler, „nennen wir ihn Ismael“. Kommentiert wird sie von „The Boy“, einer Figur, die Wilson erfunden hat und die in der Romanvorlage nicht existiert. „The Boy“ hat der Erzählung schon unzählige Male beigewohnt. Die Geschichte beginnt mit einem mächtigen Wal, der sich gewaltig aus den blaugrauen Wellen erhebt und siegesgewiss das Düsseldorfer Publikum anstarrt. Ein anschwellender Sound kündigt einen herannahenden Sturm an; irgendwo kreischen Möwen. Die Klangkulisse, die live von einem kleinen Rockensemble im Orchestergraben eingespielt wird, schafft eine bedrohliche Atmosphäre. Zu jaulenden E‑Gitarren und rhythmischem Schlagzeug hebt sich der Prospekt mit dem großen Walgemälde und gibt den Blick auf die Bühne frei. Let the show begin: Ein seltsamer Typ mit langem Rauschebart – großartig dargestellt von Kilian Ponert als Ismael – blickt auf sein Leben zurück und erzählt als einziger Überlebender von dem bekannten Seefahrerdrama.
Jeder kennt „Moby Dick“: Kapitän Ahab, der sein Bein durch einen Wal verlor, sticht mit seinem Walfangschiff Pequod in See, um eben jenen Wal namens Moby Dick zu erlegen – eine Mission, die letztendlich scheitert. Was Melville noch ausufernd und mit vielen Abschweifungen erzählt, fasst Wilson in kurzen, prächtigen Bildern und wenigen Worten zusammen. Erstaunlicherweise räumt der Starregisseur einer anderen, im Original nicht vorkommenden Wal-Geschichte relativ viel Raum ein: der biblischen Geschichte von Jona und dem Wal.
Die eigentliche Erzählung wird gnadenlos reduziert. Kapitelüberschriften werden aus dem Off – noch nicht einmal chronologisch – vorgetragen, und Textfragmente werden in bekannter Wilson-Manier bis an die Grenze des Erträglichen mantrahaft wiederholt. Das Geschehen wird von vielen eingeblendeten Szenen aus John Hustons Romanverfilmung von 1956 und traumhaft schönen Bühnenbildern eingerahmt. Nicht zuletzt trägt der dunkle, kraftvolle Soundtrack der Rock-Gitarristin und ‑Sängerin Anna Calvi, virtuos vorgetragen von dem hervorragenden Ensemble unter der Leitung von Dom Bouffard, wesentlich zum Gelingen dieses Abends bei.
Christopher Nell als „The Boy“ singt sich dabei mit seiner markanten Stimme in den Mittelpunkt. Seine Interpretation von „Wanderlust“ und „Desire“ – beide sind Fans bereits von früheren Alben der Künstlerin bekannt – gehören zweifellos zu den Highlights der Show. Mit einer zauberhaften Melodie im Ohr und der Textzeile „Cause if I dream it / Maybe it will happen“ auf den Lippen verlässt man das Düsseldorfer Schauspielhaus.