NEUE elektronische TÖNE
25. Oktober 2025 • Templum Mergemeier, Düsseldorf
In den frühen 1980er Jahren entstand in Düsseldorf mit Neue Töne eine Konzertreihe für neue Musik, die zwischen 1982 und 1987 Raum für Experimentelles und Avantgardistisches eröffnete. Initiiert von den Komponist*innen J. U. Lensing, Maria de Alvear und Francisco Estévez, präsentierte sie Werke junger regionaler wie auch etablierter Klangschöpfer – ergänzt durch Video, Performance und Aktionen.
Es war eine Zeit, in der Punk und New Wave die Hörgewohnheiten veränderten und auch „unbequeme“ Musik ihr Publikum fand. Ich war von Anfang an dabei: gestaltete Plakate und Flyer mit Letraset, saß an der Kasse und führte die Buchhaltung. Heute wird dieser Geist durch ein einmaliges Konzert im Düsseldorfer Templum vom Theater der Klänge wiederbelebt – das lasse ich mir natürlich nicht entgehen.
Kopfkino ohne Herzfrequenz
Angekündigt war ein Abend mit fünf Düsseldorfer Künstlern, die die aktuellen Möglichkeiten elektronischer Musik ausloten und deren Vielfalt erlebbar machen wollten. Als kurzes Warm-up fungierte Max Yips akusmatische Eröffnung Silent Panda – eine Komposition, die ohne Interaktivität einen Klangkörper im Raum aufbaut. Der Komponist bediente sich frei zugänglicher Audio-Loops und weiterer klanglicher Materialien. Emotionen sollten dabei bewusst nicht entstehen.
Algorithmische Muster in Echtzeit
Axel Ganz’ Live-Coding-Set „For Peter Roehr“ knüpfte daran an, erweiterte den Kompositionsprozess jedoch zur Performance: In seiner Show mit Tidal Cycles, einer Open-Source-Umgebung für Live-Coding, verwandelte er algorithmische Muster direkt in Klang und Rhythmus. Die projizierten Codezeilen wirkten als eigenständiges visuelles Kunstwerk. Codezeilen wurden auskommentiert oder wieder hergestellt, Parameter verändert oder neu hinzugefügt, alles in Echtzeit – so wurde das Publikum Zeuge digitaler Klangproduktion. Ähnlich wie beim titelgebenden Künstler entstanden so repetitive Muster und dichte Klangflächen. Richtig ärgerlich allerdings: Ein unterschwelliges Brummen in den Boxen begleitete die gesamte Performance und störte das empfindliche Klanggefüge – gerade in einem Werk, wo Nuancen und subtile Soundverschiebungen entscheidend sind.
Zwischen Ethno-Sample und Theorieraum
Christian Banasik überzeugte mit „IK – Expanded“ durch technisches Können und konzeptuelle Tiefe. Die zugrunde liegende Idee, präkolumbianische Mythen digital zu transformieren, dürfte wohl nur geschulten Hörenden aufgefallen sein. Dennoch war die Interaktion zwischen Elektronik und den live von Stefan Oechsle eingespielten Klängen von Kontrabassflöte und Querflöte äußerst spannend und lebendig. Banasik schuf mit Loops und virtuell generierten Fragmenten einen weiten Klangbogen – oft unterschwellig bedrohlich und düster. Das Wechselspiel zwischen Atem und Algorithmus war intensiv spürbar.
Zwischen Struktur und Freiraum
Nach einer kurzen Pause schlug Michio Woirgardt mit „Thresholds“ einen anderen Weg ein: Alltagsgegenstände und klassische Instrumente bewegten sich im Live-Looping zwischen Geräusch und Klang, zwischen Struktur und Freiraum. Das Publikum war eingeladen, sich bewusst in diesen Klangraum zu begeben – irgendwo zwischen Ambient und esoterischem Wohlklang.
Finale der Form
Den Schlusspunkt setzte J. U. Lensing mit „Gleichschritt-Abkehr“, einer Uraufführung für Elektronik und Tambourtrommel, die den Viervierteltakt konsequent hinter sich ließ und polyrhythmische Räume eröffnete. Zwischen perkussiven Impulsen und elektronischer Sphäre entstand ein Klanggewebe, das nicht nur hör‑, sondern körperlich erfahrbar wurde. Besonders beeindruckend war das virtuose Trommelspiel von Daniel Guthausen auf einer eigens angefertigten Tambour-Trommel – gebaut von einem Trommelbauer aus Siena für eine Produktion des Theaters der Klänge (Le Grand). Fun Fact: Das historische Design der Trommel stammt von mir. Wie auch immer – die percussive Energie aus der Verbindung von Trommel und Elektronik war schlicht überwältigend.
Ein Abend für die Denkenden
Der Abend zeigte eindrucksvoll, wie das Analoge mit dem Digitalen, kulturelle Wurzeln mit algorithmischen Methoden in Dialog treten können. Oder, wie Lensing sagte: „Wir wollten zeigen, dass Technologie der Musik dient – und nicht umgekehrt.“ Die Neuen elektronischen Töne boten einen Abend für jene, die elektronische Musik als ästhetische Forschungsarbeit verstehen: technisch brillant, konzeptuell durchdacht – größtenteils überzeugend, aber gewiss nicht für alle zugänglich. Ein Konzert mehr für den Kopf – weniger fürs Herz.







