Orchestre Tout Puissant Marcel Duchamp

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Das Orchestre Tout Puis­sant Mar­cel Duch­amp wird 2006 auf Initia­tive des Kon­tra­bas­sis­ten und Kul­tur­ak­ti­vis­ten Vin­cent Bert­ho­let in Genf gegrün­det. „Orchestre Tout Puis­sant“ lässt sich mit „All­mäch­ti­ges Orches­ter“ über­set­zen und kann als Anspie­lung auf die oft­mals pom­pö­sen Bezeich­nun­gen von Orches­tern aus dem Kongo oder Benin ver­stan­den wer­den. Der Zusatz „Mar­cel Duch­amp“ im Band­na­men ist ein­fa­cher zu erklä­ren: Er ist eine Hom­mage an den fran­zö­si­schen Künst­ler Mar­cel Duch­amp, der als Weg­be­rei­ter des Dada­is­mus und als einer der ein­fluss­reichs­ten Künst­ler des 20. Jahr­hun­derts gilt. Radi­kal setzte er das Kon­zept des Objet trouvé mit sei­nen bekann­ten Rea­dy­ma­des wie Fahr­rad-Rad (1913), Fla­schen­trock­ner (1914) und Foun­tain (1917) um. Die eigen­wil­li­gen Kom­po­si­tio­nen des Musik­kol­lek­tivs bewe­gen sich zwi­schen Free Jazz, Post-Punk, zeit­ge­nös­si­scher expe­ri­men­tel­ler Musik, west­afri­ka­ni­schen Groo­ves und Brass-Band-Klän­gen. Es besteht aus zehn bis vier­zehn wech­seln­den Instrumentalist*innen aus unter­schied­li­chen Län­dern mit zahl­rei­chen Instru­men­ten – dar­un­ter Marimba, Cello, Geige, Bass, Blas­in­stru­mente und Schlag­zeug – was dem Sound eine orches­trale und viel­schich­tige Dimen­sion ver­leiht. Die Lyrics und Sprach­wahl – sowohl auf Eng­lisch als auch auf Fran­zö­sisch – unter­strei­chen zusätz­lich die Inter­na­tio­na­li­tät und Viel­sei­tig­keit der Band, die mit poe­ti­schen, abs­trak­ten und gesell­schafts­kri­ti­schen Tex­ten her­aus­for­dern und anre­gen will, über Kunst und Gesell­schaft zu reflek­tie­ren, ähn­lich wie Mar­cel Duch­amp es mit sei­nen Wer­ken tat.

Orchestre Tout Puissant Marcel Duchamp, Ventre Unique

Orchestre Tout Puissant Marcel Duchamp

Ventre Unique

Ver­öf­fent­licht: 15. Novem­ber 2024
Label: Bongo Joe

„Ventre Uni­que“ ist das sechste Album des in Genf ansäs­si­gen Musik­kol­lek­tivs Orchestre Tout Puis­sant Mar­cel Duch­amp, das unter der Lei­tung von Vin­cent Bert­ho­let steht. Wie bereits das Vor­gän­ger­al­bum ver­eint auch die­ses Werk Ele­mente von Post-Punk, Avant­garde, Jazz, Mini­mal Music und afri­ka­ni­schen Rhyth­men und bie­tet damit ein emo­tio­nal auf­ge­la­de­nes und inten­si­ves Hör­erleb­nis. Die Auf­nah­men fan­den über zehn Tage im Stu­dio Midi­live am Stadt­rand von Paris statt und umfas­sen eine inter­na­tio­nale Beset­zung von zwölf Musiker*innen. Das Ergeb­nis ist ein orga­ni­scher Sound, der Bert­ho­lets ein­fa­che, loop­ba­sierte Kom­po­si­tio­nen mit kom­ple­xen Arran­ge­ments aus Marimba, Blä­sern, Strei­chern und kan­ti­gen Gitar­ren verbindet.

Hypnotischer Sound

Der Titel „Ventre Uni­que“ (zu Deutsch: „Ein­zig­ar­ti­ger Bauch“) ver­weist auf die kol­lek­tive Krea­ti­vi­tät und die Ver­schmel­zung unter­schied­li­cher musi­ka­li­scher Ein­flüsse zu einem stim­mi­gen Gan­zen. Klang­lich ist das Album stark geprägt von repe­ti­ti­ven Rhyth­men, hyp­no­ti­schen Bass­li­nien und expe­ri­men­tel­len Sound­struk­tu­ren, die zwi­schen ener­ge­ti­schen, punk­ar­ti­gen Pas­sa­gen und ruhi­ge­ren, trance­ar­ti­gen Abschnit­ten wech­seln. Die Lyrics sind oft mini­ma­lis­tisch und wer­den teil­weise wie Man­tras wie­der­holt, was die hyp­no­ti­sche Wir­kung der Songs ver­stärkt und ihnen eine ritu­elle, fast spi­ri­tu­elle Qua­li­tät verleiht.

Gegen alle Hörgewohnheiten

Das Album fas­zi­niert durch starke Kon­traste und rhyth­mi­sche Brü­che und unter­gräbt mit sei­nen dyna­mi­schen Abfol­gen von lau­ten, dis­so­nan­ten Klän­gen und ruhi­ge­ren, bei­nahe medi­ta­ti­ven Abschnit­ten tra­di­tio­nelle Hör­ge­wohn­hei­ten. Der Ope­ner „Tout Cassé“ fas­zi­niert mit einem blech­blä­ser­ge­trie­be­nen Marsch­beat, der von einem viel­stim­mi­gen Gesang beglei­tet wird. Auch auf „Tout Haut“ bestimmt ein viel­stim­mi­ger Chor, der sich über ner­vöse Blech­blä­ser erhebt, den Sound. Rocki­ger mit fast wavi­gen Gitar­ren geht es bei „Speak By The E“ zu. Mit lau­ni­schem Gesang über­zeugt Mara Kras­tina auf „Smi­ling Like a Flower“ zu trei­ben­den Beats. So gibt sich das Album jeder­zeit kunst­voll ver­spielt, den­noch habe die Musik nichts Kom­ple­xes; viel­mehr seien die Ideen ein­fach, meint Bert­ho­let, „so dass, wer auch immer musi­ziert, es den Sound der Band nicht ver­än­dert”. Eine erhe­bende Hom­mage an den kol­lek­ti­ven Geist, der die Ein­heit und Ver­schmel­zung der ver­schie­de­nen musi­ka­li­schen Ein­flüsse mög­lich macht. Wie das Orchestre Gen­res mit­ein­an­der ver­webt, mag gele­gent­lich an Avant­garde-Bands wie The Ex und Ske­le­ton Crew erin­nern, wobei das Schwei­zer Musik­kol­lek­tiv mit sei­ner orches­tra­len Instru­men­tie­rung den Klang­raum deut­lich wei­ter öff­net. Mit aus­ge­dehn­ten Sai­ten­me­lo­dien, kraft­vol­len Blä­se­r­ex­plo­sio­nen, zar­ten Marim­bak­län­gen, World-Per­cus­sion und rauen Gitar­ren erschaf­fen die Künstler*innen ein fas­zi­nie­ren­des, fri­sches Album vol­ler Überraschungen.