Familientauglich taugt nix

Rock gegen Rechts

19. August 2023 • Ballonwiese im Volksgarten, Düsseldorf

Am Sams­tag ist es mal wie­der soweit: Die 10. Aus­gabe des kos­ten­lo­sen Fes­ti­vals „Rock gegen Rechts” wird auf der Bal­lon­wiese im Düs­sel­dor­fer Volks­gar­ten aus­ge­rich­tet. Das musi­ka­li­sche Pro­gramm ist wie immer ein Mix aus Künstler*innen und Bands der loka­len und regio­na­len Musik­szene — und es soll fami­li­en­taug­lich sein. So gibt es neben den Infor­ma­ti­ons­stän­den von knapp 30 Initia­ti­ven und Grup­pen, die über ihre Akti­vi­tä­ten für ein welt­of­fe­nes, tole­ran­tes und soli­da­ri­sches Zusam­men­le­ben infor­mie­ren und sich im Kampf gegen Ras­sis­mus und Faschis­mus enga­gie­ren, auch Ange­bote, die sich direkt an Kin­der rich­ten. Neu in die­sem Jahr sind Rund­gänge, die sich kri­tisch mit dem Ver­an­stal­tungs­ort und sei­ner spe­zi­el­len His­to­rie aus­ein­an­der­set­zen. Der Volks­gar­ten, ursprüng­lich als Ort der Erho­lung für die Fabrik­ar­bei­ter der Werke in Ober­bilk gedacht, wurde vom NS-Regime 1933 zum Ver­an­stal­tungs­ort für natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Auf­mär­sche und Ver­samm­lun­gen erklärt. Die Bal­lon­wiese wurde in – ganz NS-Sprech – „Kraft-durch-Freude-Wiese“ umbe­nannt. Auch enstan­den in den Kriegs­jah­ren für jeden sicht­bar auf dem Gelände Lager für KZ-Häft­linge und Zwangsarbeiter*innen. Der rich­tige Ort für ein Rock-gegen-Rechts-Fes­ti­val also. Für heute sind sie­ben Bands ange­sagt. „Uns war es für unser Jubi­läum wich­tig, ein pari­tä­ti­sches Lin­eup zu bekom­men, das sowohl aus­ge­mach­ten Punk-Fans, als auch Hip-Hop- und Rock-Fans gerecht wird“, äußert sich Toni Dot­z­auer vom Boo­king-Team gegen­über der Rhei­ni­schen Post. Also für jeden etwas… Die Head­li­ner bil­den Waving The Guns, eine Hip-Hop-Gruppe aus Ros­tock und die Kas­se­ler Sin­ger-Song­wri­te­rin Mia Mor­gan. Wei­ter ange­kün­digt sind: Östro 430, Joseph Boys, Figur Lemur, The Vage­e­nas und die New­co­me­rin Lina Kra­mer. Lei­der habe ich am frü­hen Abend eine Ver­ab­re­dung, hoffe aber die Shows von Östro 430, einer vier­köp­fi­gen Frau­en­punk­band aus Düs­sel­dorf, die ich in den 80ern häu­fig gese­hen habe, und der Düs­sel­dor­fer Post-Punk­band Joseph Boys mitzubekommen.

Auf dem Fes­ti­val­ge­lände stelle ich zunächst fest, dass man mir keine Aus­kunft über das genaue Line-Up geben möchte. Man wolle so ver­hin­dern, dass man sich gezielt nach spe­zi­el­len Auf­füh­run­gen rich­tet. OK, ich muss also neh­men, was kommt. Den Anfang macht die lokale Sin­ger-Song­wri­te­rin Lina Kra­mer. Ihr musi­ka­li­sches Talent hat sie wohl von ihrem Vater. Jür­gen Kra­mer ist in Düs­sel­dorf kein Unbe­kann­ter – spielte er doch bei Stet­son Power, Beat­le­sons und Swamp Mil­li­ons. Seine Toch­ter gilt als eines der gro­ßen Talente der Stadt, und wenn man sie auf der Bühne ihre bal­la­di­gen Folk-Songs vor­tra­gen hört, glaubt man das gerne. Neben einem Rage-Against-Cover spielt die 28-Jäh­rige aus­schließ­lich eigene Stü­cke. Mit ihrer sym­pa­thi­schen Art, ihrem gefühl­vol­len Gitar­ren­spiel und ihrer zar­ten Stimme zieht sie die weni­gen Zuhörer*innen, die sich vor der Bühne ver­sam­melt haben, in ihren Bann. Es ist ein leich­ter, har­mo­ni­scher Ein­stieg in die­sen Fes­ti­val­tag. Eine Zugabe kann sie nicht geben, denn wie so oft auf Fes­ti­vals ist der Zeit­plan eng getaktet.

Nach kur­zer Umbau­spause wird eine Pop-Rap-For­ma­tion aus Bochum mit dem selt­sa­men Namen Figur Lemur ange­kün­digt. Die Band, die sich selbst als „Vier Jungs, die seit Kin­der­ta­gen zusam­men Musik machen“ beschrei­ben, stel­len pas­send zum Anlass ihr aktu­el­les Album „Poli­tik und Liebe“ vor. Das Quar­tett prä­sen­tiert radio­taug­li­chen, deutsch­spra­chi­gen Rap mit Hal­tung – ein­gän­gig, detail­ver­liebt, tanz­bar und sehr pro­fes­sio­nell. Es ist aller­dings auch ein Sound, der mitt­ler­weile ton­an­ge­bend im kom­mer­zi­el­len deutsch­spra­chi­gen Pop ist. Für meine Ohren klingt das alles sehr ähn­lich und leicht repro­du­zier­bar – da darf dann auch der Ein­satz von Auto­tune nicht feh­len. Es ist sehr zugäng­li­che Musik für ein brei­te­res Publi­kum. Das zeigt auch ein Blick in das auf­grund des Regens nur spär­li­che Publi­kum vor der Bühne. Hier wip­pen Jung und Alt, Kids mit Eltern, Alt-Hip­pies und selbst einige Punks fröh­lich im Takt. Der Auf­tritt ist sicher­lich nicht schlecht, aber abso­lut nicht mein Ding, und als Sän­ger Bas­tian Nau ins Mikro brüllt: „Geht’s euch gut?”, ist das dann auch end­gül­tig zu viel für mich. So schlen­dere ich über das Fes­ti­val­ge­lände und hoffe, dass der nächste Act inter­es­san­ter wird, besorge mir aus Lan­ge­weile noch das MLPD-Maga­zin „Rote Fahne“, in dem ich ein wenig schmö­kere, nur um fest­zu­stel­len, dass sich man­che Dinge tat­säch­lich nie ändern werden.

Der fol­gende Act könnte ganz inter­es­sant wer­den. The Vage­e­nas, eine Punk-Band vom Nie­der­rhein, ste­hen auf dem Pro­gramm. Die Band wurde 1994 von der Punk-Ikone Babette gegrün­det. Sie ist auch das letzte ver­blie­bende Grün­dun­gioi smit­glied in dem Quar­tett. Mit „We Are The Vage­e­nas“, einem Song von 1998 legen die Alt-Pun­ker auch gleich amt­lich los. Ihr Sound ist erwart­bar roh, schnör­kel­los und herr­lich tra­shig: Es ist klas­si­scher, rum­peln­der Old­school-Gara­ge­punk, ent­spre­chend klingt das Alles auch nicht mehr ganz so frisch und etwas aus der Zeit gefal­len, macht aber den­noch Spass, zumal Front­frau Babette Gier eine gute Show hin­legt, immer wie­der klet­tert sie von der Bühne und inter­agiert mit dem bunt gemisch­ten Publi­kum. Ener­ge­tisch und mit viel Spiel­freude prä­sen­tie­ren Songs aus ihrem gesamte Reper­toire wie Ado­le­s­cent till I die, Bang Bang Bang, You make me sick. Auch das irgend­wie „ein Spaß für die ganze Fami­lie“. Irgend­wann brüllt sie ins Mikro: „Geht’s euch gut?” — „Ok, das ist jetzt echt so Bal­ler­mann­mä­ßig“, schiebt sie zwar noch hin­ter­her, aber das macht’s auch nicht bes­ser. Vor allem nicht, weil sie spä­ter das Publi­kum noch zu Mit­sing- und Mit­mach­ak­tio­nen ani­miert. Nicht mit mir, da hört der Spass nun aber wirk­lich auf. Nix wie weg hier.

Auf dem Heim­weg trauere ich ein wenig über die ver­passte Show der Joseph Boys. Und auch Östro 430 hätte ich gern gese­hen. Ander­seits — wenn ich mir vor­stelle, dass Mar­tina Weith den sexu­el­len Not­stand besingt wie einst in den 80ern, hat das wohl heute eine ganz andere Bedeu­tung. Aber will man das wirk­lich hören…?