We’re direct, confrontational and raw“ 

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Shame
30. September 2025 • Gebäude 9, Köln

Shame aus Süd­lon­don haben gerade ihr neues Album Cut­throat“ ver­öf­fent­licht – bei mir seit Wochen in Dau­er­ro­ta­tion. Nun steht die Band im Köl­ner Gebäude 9 auf der Bühne. Beschei­den nennt sich die Tour Mas­sive Mons­ter Tour“. Our live shows aren’t per­for­mance art – they’re direct, con­fron­ta­tio­nal and raw“, sagt Front­mann Char­lie Steen, der sich bei Kon­zer­ten auch gerne mal ins Publi­kum stürzt. Klingt nach Eska­la­tion – und sicher ist nur: Leise wird’s heute nicht.

Falsche Erwartung

Kurz nach acht betritt mit EBB der Sup­port die Bühne. Erwar­tet hatte ich das schot­ti­sche Prog­rock-Kol­lek­tiv in vol­ler Sechs­er­stärke, tat­säch­lich erscheint eine andere Band mit glei­chem Namen: ein Trio aus Drums, Keys und Gesang, zu dem mir keine wei­te­ren Infos vor­lie­gen. In den bes­ten Momen­ten schim­mern Ani­mal-Coll­ec­tive-Vibes durch, kleine Licht­blitze von psy­che­de­li­scher Schön­heit. Doch über weite Stre­cken plät­schert ihr trei­ben­der Synth-Pop etwas stumpf dahin. Der Drum­mer ret­tet die Sache ein wenig – sein Spiel ist irr­wit­zig, explo­siv, zwingt die Menge immer wie­der in Bewe­gung. Ein soli­des Warm-up, mehr aber nicht.

Lets have a party, motherfuckers!”

Nach einer halb­stün­di­gen Umbau­pause geht’s los: Shame star­ten mit Axis of Evil“, dem Schluss­stück von Cut­throat“. Ein per­fek­ter Auf­takt – düs­ter, aggres­siv, drän­gend. Steen spuckt Wut und Spott ins Mikro, wäh­rend die Band einen dich­ten Tep­pich aus Feed­back, Ver­zer­rung und Groove ent­fes­selt. Let’s see how much we have to give!“, schreit er ins Publi­kum. Ant­wort: eine Menge. Mit Not­hing Bet­ter“ zieht das Tempo wei­ter an. Steen reißt sich das Jackett vom Leib, steht mit nack­tem Ober­kör­per und Pries­t­er­kra­gen auf der Bühne – eine Mischung aus Pre­di­ger und Ber­ser­ker. Lets have a party, mother­fu­ckers!”, ruft er aus. Das Set mäan­dert zwi­schen neuem Mate­rial und Klas­si­kern wie Fin­ger of Steel“ vom 2023er Album Food for Worms“ oder dem trei­ben­den Con­crete“ ihres Debüts. Das Schlag­zeug häm­mert, die Gitar­ren bei­ßen, der Bass stampft und Steen treibt die Crowd gna­den­los nach vorne. Keine Sekunde Leer­lauf. Erst recht nicht für Bas­sist Josh Finerty, der per­ma­nent in Bewe­gung ist und hals­bre­che­ri­sche Sprünge wagt.

Noise, Hymnen und Schweiß

Die Dra­ma­tur­gie des Abends ist klug gebaut: Bru­ta­ler Punk, Noise-Wände, dann wie­der fast hym­ni­sche Momente. Quiet Life“ bringt kurz Ruhe ins Set, wäh­rend Lam­pião“ mit por­tu­gie­si­schen Sprach­fet­zen und sei­ner atmo­sphä­ri­schen Dichte zum Höhe­punkt des Sets wird. Es ist die­ser rohe, kan­tige Sound, der die­ses Kon­zert prägt: Bass­li­nien, die den Boden zum Vibrie­ren brin­gen, Feed­back, das schnei­det wie Glas – Lärm, der Spaß macht. Aller­dings wünscht man sich gele­gent­lich, Shame wür­den die lei­sen Zwi­schen­töne ihrer Songs stär­ker beto­nen. Auf Platte blit­zen diese intro­ver­tier­ten, ver­letz­li­chen Momente auf, live gehen sie fast unter im durch­drin­gen­den Noise. Doch das Publi­kum stört sich nicht daran: Bier­ge­ruch, Schweiß, Stro­bo­skop, Hände in der Luft – hier geht es ums kol­lek­tive Beben, nicht um feine Nuancen.

Genug ist genug

Natür­lich surft Steen irgend­wann über die Köpfe des Publi­kums. Natür­lich wird Free Pal­es­tine“ ins Set geru­fen. Natür­lich bleibt am Ende nur Erschöp­fung. Das Finale: der Titel­track Cut­throat“ – ein letz­tes, kom­pro­miss­lo­ses Post­punk-Beben. Dann sind die Lich­ter an, ohne Zugabe. Mehr braucht es auch nicht. Shame erneu­ern in Köln ihren Anspruch: laut, roh, sper­rig und live am Limit. Nicht makel­los, aber groß­ar­tig in ihrer Unmit­tel­bar­keit. Nur die Ver­letz­lich­keit und die Melo­diö­si­tät, die Cut­throat“ auf Platte durch­zie­hen, gehen im Live-Lärm ein Stück verloren.

Es dröhnt

Ja, es war laut – und natür­lich dröh­nen mir auf der Rück­fahrt gehö­rig die Ohren. Aber Byte​.fm lässt mich mit sanf­ten Trip-Pop-Klän­gen und unter­halt­sa­mer Mode­ra­tion durch die Nacht nach Hause glei­ten — lang­sam und gedan­ken­ver­lo­ren. Die Musi­ker von Shame ste­cken alle noch in den Zwan­zi­gern — steckte in uns damals auch so viel Energie?