„Songs for Drella“
1. November 2025 • Schauspielhaus, Düsseldorf
Andy Warhol war nie nur Künstler. Er war Marke, Mythos, Medium. Lou Reed und John Cale verstanden das früh – und schufen 1990 mit „Songs for Drella” ein Konzeptalbum, das zwischen Liebe und Abrechnung, Schuld und Sehnsucht pendelt. Nun wagt sich das Düsseldorfer Schauspielhaus an diese fragile Balance: Schauspieler Jürgen Sarkiss, Jazzgeiger Jan-Sebastian Weichsel und Pianist Hajo Wiesemann führen durch eine Hommage, die mehr ist als Nostalgie oder Kopie. Der Spitzname „Drella“ für Andy Warhol ist eine Zusammensetzung aus Dracula und Cinderella. Am 1. November besuchte ich mit einigen Freund*innen die Aufführung.
Vom Radio ins Reich der Schatten
Der Abend beginnt mit einer klugen Setzung: das Rauschen eines Radios, eine fiktive Nachricht vom Tod Warhols. Dann ein Telefonat – Lou Reed ruft John Cale an: „Warum haben wir uns eigentlich zerstritten?“ Diese Frage schwebt über allem, was folgt. Sie markiert den Beginn einer musikalischen Rekonstruktion, die nicht bloß erinnert, sondern hinterfragt: Was bleibt von einer Ikone, wenn der Glanz der Factory verblasst ist?
Zwischen Konzertsaal und Theaterbühne
Musikalisch bleibt das Trio nah am Original – folgt dem Album Titel für Titel, Song für Song, in klarer Referenz. Doch die Aufführung geht über reine Reproduktion hinaus: Hajo Wiesemann spielt das Klavier konzentriert und kantig, jeder Anschlag sitzt präzise und trocken – eine perfekte Übersetzung des Spiels von John Cale. Jan-Sebastian Weichsel geht voll hinein, spielt die Geige, als wäre sie eine E‑Gitarre – zupft, kratzt, verzerrt die Saiten, lässt sie vibrieren wie ein Feedback. Der Sound wirkt roh und direkt, weniger klassisch als körperlich – The Velvet Underground ist nicht weit.
Melodie und Spoken Word
Gemeinsam erzeugen beide ein Spannungsfeld, in dem sich Sarkiss’ Stimme frei bewegt: Er spricht, singt, flüstert, changiert zwischen Intimität und Distanz. Die Texte, ohnehin mehr Prosa als Poesie, bekommen durch ihn einen fast dokumentarischen Charakter. Dass er die Songs mit literarischen Einschüben rahmt, öffnet zusätzliche Räume: Vor „Style It Takes“ rezitiert er Charles Bukowskis Style – ein raues, trotziges Statement über Authentizität und Haltung, das der Song musikalisch aufgreift. Vor „It Wasn’t Me“ folgt Gwendolyn Brooks’ Boy Breaking Glass – ein poetischer Schrei gegen Ausgrenzung und für Sichtbarkeit, der Warhols Verständnis von „Andersartigkeit als Stärke“ wunderbar kontrastiert. Und schließlich T.S. Eliots The Hollow Men vor „Forever Changed“: ein stilles, beklemmendes Innehalten über die Vergänglichkeit von Ruhm und Kunst.
Der Sound der Entfremdung
So entsteht ein Hybrid aus Konzert und Theater – ein Zustand der Schwebe, der irritiert, aber auch fesselt. Hier liegt auch der einzige Schwachpunkt: Das Stück kann sich nicht ganz entscheiden, ob es Konzert oder Bühnenperformance sein will. Doch vielleicht ist gerade dieses Unentschiedene eine Referenz an Warhol selbst, der nie trennte zwischen Oberfläche und Substanz, Kunst und Kommerz, Pose und Person.
Mehr als eine Hommage
Songs for Drella im Düsseldorfer Schauspielhaus ist kein Retro-Trip, sondern weit mehr als eine Hommage. Es ist ein fein austariertes Klangbild, ein Abend, der sich anfühlt wie ein analoges Tape im digitalen Zeitalter – rau, ehrlich, leise und intensiv. Und am Ende gibt es noch eine überraschende Zugabe: eine mitreißende, energetische Interpretation des Velvet-Underground-Klassikers „I’m Waiting for the Man“. Und am Ende? Sind wir alle restlos begeistert.

