Soundtrip #72
6. Mai 2025 • Theatermuseum, Düsseldorf
Seit über einem Jahrzehnt ist die Soundtrip-Reihe eine feste Adresse für all jene, die sich gern abseits ausgetretener musikalischer Pfade bewegen. Gefördert vom NRW KULTURsekretariat, bringt sie internationale Größen der Improvisationsszene in mehrere Städte Nordrhein-Westfalens – für spontane Kollaborationen und Konzerte, die so einmalig wie unvorhersehbar sind. Zum Auftakt der neuen Staffel Soundtrip #72 treffen die Berliner Stimmakrobatin Almut Kühne und der Basler Turntable-Pionier Joke Lanz, die sonst gemeinsam mit Schlagzeuger Alfred Vogel als Trio How Noisy Are the Rooms? auf internationalen Festivals für Furore sorgen, erstmals im Duo auf. In Düsseldorf stoßen sie dabei auf die lokalen Musiker Jonathan Hofmeister (Synthesizer, Piano) und Matthias Schuller (Posaune). Klingt interessant? Mal sehen. Tom — abwegiger Musik nicht abgeneigt – begleitet mich, und dann treffen wir vor Ort noch auf Oliver. Mit geballter musikalischer Kompetenz betreten wir also das Theatermuseum.
Improvisation Dada
Das Erste, was auffällt: Der Publikumszuspruch ist überschaubar. Sicher, es handelt sich hier um eine absolute Nischenveranstaltung – und dennoch ist es bemerkenswert, dass eine Stadt wie Düsseldorf nicht mehr als dreißig Neugierige für dieses Format mobilisiert. Den Musiker*innen scheint das wenig auszumachen. Im ersten Set entfesseln Kühne und Lanz ein fiebriges Klangtheater zwischen Noise und Stille, dadaistischem Spielwitz und vokaler Hochakrobatik. Kühnes genrefreier Gesang trifft auf Lanz’ manipulierte Vinyl-Loops und eruptive Scratch-Attacken – gemeinsam zerlegen sie mit Hingabe unsere Hörgewohnheiten. Wer sich auf das kontrollierte Chaos einlässt, erlebt ein Spektakel irgendwo zwischen Performance-Kunst, musikalischem Comic und elektroakustischem Befreiungsschlag. Allein die körperliche Präsenz der beiden ist bemerkenswert: Joke Lanz tanzt, schleicht, federt um sein Turntable-Rack, während er in fließenden Bewegungen neue Scheiben auflegt, scratcht oder die Plattenspieler rhythmisch bearbeitet. Almut Kühne steht fast verkrampft, hochkonzentriert, mit geschlossenen Augen daneben und bringt ihr beeindruckendes vokales Arsenal zur Geltung – ein Kaleidoskop aus Lauten zwischen überdrehter Schallplatte und Babygebrabbel. Was sich zwischen den beiden abspielt, ist reine Improvisation. Klingt anstrengend? Vielleicht. Aber es ist faszinierend zu beobachten, wie sie sich suchend annähern, eine gemeinsame Sprache formen, voneinander abdriften und sich schließlich wiederfinden.
Aus Zwei mach Vier
Im zweiten Set wird das Duo zum Quartett: Jonathan Hofmeister bereichert die Klanglandschaft mit elektronischen Patterns und Loops, Matthias Schuller fügt mit seiner Posaune warme, emotionale Farben hinzu. Auch die beiden neuen Mitspieler vermeiden bewusst klassische Strukturen. Anfangs wirkt das Zusammenspiel noch vorsichtig tastend – vier Musiker, die sich in einem neuen Klangraum erst orientieren müssen. Doch nach einer kurzen Phase des Abwartens entwickelt sich auch hier ein feines Zusammenspiel. Spätestens in der Zugabe zeigt sich die Virtuosität aller Beteiligten, die es verstehen, auch in der freien Improvisation Spannung, Form und Ausdruck zu erzeugen.
Einfach machen
Nach der Veranstaltung erzählt mir Joke Lanz, dass seine musikalischen Wurzeln tatsächlich im Punk liegen. Das „Einfach machen!“ dieser Szene sei für ihn bis heute ein künstlerisches Leitmotiv – und genau das war an diesem Abend spürbar. Improvisation braucht Mut, Offenheit und Spielfreude. Zufällig hatte ich am Vortag die Doku „Einfach machen! She-Punks von 1977 bis heute“ gesehen – in der auch die Schweizer Punkband Kleenex und LiLiPuT eine große Rolle spielt. Und plötzlich schließt sich der Kreis: Punk und freier Jazz, Turntablism und Vokalakrobatik – alles Teil eines radikalen kreativen Impulses. Tom und Oliver stimmen dem mit unterschiedlicher Intonation ebenfalls zu: Ein gelungener Abend also, der nicht laut sein muss, um Nachhall zu erzeugen.


