Squid wird 2015 von fünf Kommilitonen der Universität in Brighton gegründet. Den Kern von Squid bilden Ollie Judge (Gesang, Schlagzeug) und Louis Barlaset (Gitarren & Gesang) — die weiteren Bandmates sind Arthur Leadbetter (Keyboards, Streicher), Laurie Nankivell (Bass & Brass) und Anton Pearson (Gitarren & Gesang). Bereits mit ihrem ersten improvisierten Konzert unter dem Motto „young person’s jazz night“ entwickelt sich ein regelrechter Hype um die britische Post-Punk-Band mit ihrer eigenständigen Klangsymphonie aus dröhnenden Synthesizern, ruckelnden Gitarren und groovenden Bläser-Moves. Inzwischen ist die Band beim Elektronik-Traditionslabel Warp gelandet. Hier erscheinen im März 2020 nicht nur die Single „Sludge“, sondern im Mai 2021 auch ihr beachtliches, von der Kritik hoch gelobtes Debütalbum „Bright Green Field“. 2023 erscheint das zweite Album „O Monolith“. Das Album entsteht bereits auf der Frühjahrstour 2021, viele der neuen Songs werden live auf der Bühne geprobt, teilweise noch ohne Text. Im Februar 2025 kommt ihr drittes Album „Cowards“ – und es ist laut Bassist Laurie Nankivell ihr bestes. Und tatsächlich legt das Quintett mit den neuen, sich durchweg um das Böse drehenden Songs die eigene Messlatte noch ein wenig höher.
Polythene bags will never go away Us dogs and rats will never escape If you said it could be better out I probably won’t believe you
Textausschnitt aus „Cowards”
„Cowards“ ist das dritte Album der britischen Band Squid innerhalb von nur vier Jahren. Bekannt für ihre anarchische Mischung aus Post-Punk, Avantgarde-Rock und Jazz-Einflüssen, gehen sie nun noch einen Schritt weiter in ihrer musikalischen Entwicklung. Das Album bildet den Abschluss einer unheilvollen Trilogie, die mit „Bright Green Field“ (2021) begann – einer wütenden Abrechnung mit kapitalistischer Tristesse – und mit „O Monolith“ (2023) fortgeführt wurde, einem Werk, das soziale Themen und Folklore in einem experimentellen Sound verarbeitete. Jetzt geht es um das große Ganze: die Natur des Bösen.
Das Böse lauert überall
Der Opener „Crispy Skin“ gibt sofort die Marschroute vor: Der Song ist von dem dystopischen Roman „Tender Is The Flesh“ (2017) der argentinischen Schriftstellerin Agustina Bazterrica inspiriert und erzählt die Geschichte einer Gesellschaft, in der aufgrund des Mangels an Tierfleisch Kannibalismus legalisiert wird. Im mitreißenden, stark von Krautrock geprägten „Building 650“, das von einer Japanreise der Art-Rocker aus Brighton inspiriert wurde, heißt es: „There’s murder sometimes /But he’s a real nice guy /Well, Frank’s my friend.“ Nicht das Böse ist das Problem, sondern dessen Akzeptanz im Alltag. Der nächste Track, „Blood on the Boulders“, beginnt minimalistisch mit einem Keyboard-Arpeggio. Doch schon das folgende melodiöse Duett zwischen Squid-Sänger Ollie Judge und Gastsängerin Clarissa Connelly lässt nichts Gutes erahnen: „That Californian sun on my face /All those drugs they /They fogged her brain.“ Kurz darauf oszilliert der Song zwischen fiebrigen Schreien und flüsterndem Wahnsinn. Thematisch vertont er die Morde der Manson Family – popkulturell kein neuer Ansatz, doch Squids musikalische Umsetzung ist einzigartig. Der Titeltrack „Cowards“ wiederum bezieht sich auf Yorgos Lanthimos’ Film „Dogtooth“, der einen verstörenden Einblick in eine dysfunktionale Familie gibt. Musikalisch schleppt sich der Song in gemächlichem Midtempo dahin, begleitet von dezentem Bläsereinsatz, der die düsteren Lyrics noch beklemmender wirken lässt.
Stark rhythmusbetont und experimentierfreudig
Musikalisch bleibt das Quintett trickreich im Post-Punk verankert, zeigt sich jedoch deutlich variabler und facettenreicher als auf den ersten beiden Alben. Squid setzen verstärkt auf rhythmische Strukturen mit zahlreichen Breaks und Überraschungen. Dies mag an Schlagzeuger und Multiinstrumentalist John McEntire (Tortoise, Gastr del Sol, The Sea and Cake) liegen, der – wie schon beim Vorgängeralbum „O Monolith“ – für den Mix verantwortlich war. Einen weiteren entscheidenden Einfluss brachte Zands Duggan ein, den sich Squid als zusätzlichen Perkussionisten ins Studio holten. Als Co-Produzentin stand ihnen Marta Salogni zur Seite, die bereits mit Animal Collective, Black Midi, Bar Italia und Kim Deal bewiesen hat, wie sich experimentelle Einfälle in den Bandsound integrieren lassen. So erschaffen Squid mit „Coward“ eine bizarre Klangwelt, einen fiebrigen Albtraum, aus dem trotz aller Dunkelheit Schönheit und Glanz hervorbrechen
My shaky hands in the morning When I’m being beamed back down I log onto the website, where a 2D flame Surrounds the building I’m in now
Textausschnitt aus „Siphon Song”
Squids zweites Album O Monolith wurde am 9. Juni ebenfalls auf Warp Records veröffentlicht. Produziert hat es wieder Dan Carey, und kein geringerer als John McEntire von Tortoise hat es gemischt. Es war sicher nicht einfach, nach dem fulminanten Debütalbum, diesem Statement aus wildem Krach mit wunderbaren Melodien, ein ähnlich überzeugendes Zweitwerk vorzulegen. Aber, um es vorwegzunehmen, genau das ist dem Quintett gelungen. Es ist wie ein Monolith: riesig, einzigartig und seltsam. Es beginnt mit „Swing (In A Dream)“, einem fast schon konventionell anmutenden Track, der entfernt an Arcade Fire erinnert, das folgende, nervöse „Devil’s Den” kommt dann mit den gewohnt flüssig-kratzigen Gitarren und dem Squid-typischen Kreischgesang daher, während der „Siphon Song“ mit seinen Vocoder-Vocals und langsam, schleppenden Beats wirkt, als würde Serge Gainsbourg „Melody Nelson“ von David-Lynch durch den Wolf gedreht. Mit dem Refrain „It cracks me up /It gets me out, but it’s pulling me down“ verwendet dieser Track auch eine der eingängigsten Melodien des Albums. Überhaupt scheinen Squid nun noch mehr an ihren Melodien zu feilen und bleiben dabei doch ihrem genreübergreifenden, experimentellen Post-Punk-Folk-Jazz-Elektro-Mix treu — gut zu hören bei „After The Flash“ oder dem leicht noisigen „The Blades“. Textlich bewegen sich Squid zwischen Altem und Neuem, Hexenprozesse sind genauso Thema wie Polizeibrutalität, britische Folklore trifft auf Esoterisches. Nicht immer weiß man, worum es genau geht. Zum Beispiel bei „If You Had Seen the Bull’s Swimming Attempts You Would Have Stayed Away“: Hier ist nicht nur der Titel so geheimnisvoll wie lang. Auch inhaltlich weiß man nicht so recht, was man von dieser merkwürdigen Symphonie über die lange und umstrittene Beziehung zwischen Ratten und Menschen halten soll. Judge hat dazu gesagt, er wolle ein „spirituelles Album“ machen. So bleibt die Botschaft gelegentlich seltsam unklar und offen. Egal – Squid überzeugen mit ihren energetischen, experimentierfreudigen und unvorhersehbaren Sounds. Verwunderlich, dass eine Band dieses Formats nicht deutlich stärker auf den musikalischen Landkarten verzeichnet ist.