Squid
10. April 2025 • Club Volta, Köln
Heute Abend steht mit Squid die vielleicht kompromissloseste Art-Rock-Band Großbritanniens auf der Bühne des Club Volta – zumindest lässt das ihr neues Album „Cowards“ vermuten. Düster und artifiziell klingt es wie ein fiebriger Albtraum, aus dem trotz aller Dunkelheit Schönheit und Glanz hervorbrechen. Gemeinsam mit Tom, einem anerkannten Connoisseur abseitiger Sounds, mache ich mich auf den Weg nach Köln – in freudiger Erwartung dessen, was da kommen mag.
Intim und intensiv
Den Abend eröffnet die experimentelle Singer-Songwriterin Martha Skye Murphy, deren Stimme nicht nur auf Squids „Narrator“ zu hören ist, sondern auch auf Nick Caves „Push the Sky Away“. Allein mit Keyboard, Effekten und ihrer wandelbaren Stimme lotet sie die fragile Grenze zwischen Song und Performance aus – gekleidet wie eine Gothic-Queen, mit viel Aura und Haltung. Schön? Ich finde schon. Irritierend? Auf jeden Fall. Ihre flüsternden, eindringlichen Songs geraten leider immer wieder in Konflikt mit dem Gastronomie-Lärm des Clubs – warum muss man gerade jetzt eine LKW-Ladung Flaschen entladen? Trotzdem gelingt es Murphy mit ihrer rätselhaften Präsenz, das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Besonders faszinierend wird es, wenn sie ihre Stimme per Loop zu einer unheimlichen Kakophonie anschwellen läßt. Die Kommunikation mit dem Publikum beschränkt sich dagegen auf zwei Sätze: Einer kündigt einen bislang unveröffentlichten Song an, der andere beendet das Set – beide stammen nicht von ihr, sondern von einer verstörenden Retro-Roboterstimme. Ein Auftritt wie ein Fiebertraum: irritierend, hypnotisch, eigenartig schön.
Ein Live-Set als Klangreise
Nach einer kurzen Umbaupause wird es eng auf der kleinen, bereits mit reichlich Equipment zugestellten Bühne: Squid betreten das Feld. Drummer und Sänger Ollie Judge eröffnet mit „Crispy Skin“, dem Opener ihres aktuellen Albums „Cowards“. Begleitet von schrägen Synthie-Sounds und kantigen Rhythmen erzählt der Song von einer dystopischen Welt, inspiriert vom Roman „Tender Is The Flesh“. Willkommen im fröhlichen Delirium. Auch der Folgetrack „Building 650“ stammt, wie viele weitere, vom neuen Album – und so ziehen Squid das Publikum über die nächsten 90 Minuten durch eine Tour de Force aus Noise, Jazz, Post-Punk und unberechenbarer Klangarchitektur. Keine Hits, keine Kompromisse. Die älteren Songs wie „G.S.K.“ oder „Narrator“ erscheinen in neuem Licht, mit Bläsern, Streicherflächen und atonalen Übergängen. Jeder scheint hier mehrere Instrumente zu beherrschen: Bassist Laurie Nankivell wechselt zwischen Trompete, modularem Synth und Percussion, Arthur Leadbetter spielt Cello und Keyboard, Gitarrist Louis Borlase bedient Effektgeräte und Synths, während Anton Pearson zwischen diversen Gitarrenmodellen rotiert.
Kreatives Chaos
Auf der Bühne herrscht kreatives Chaos: Gitarren und Trompeten entfachen eine manische Euphorie, Judge kreischt, flüstert, nölt ins Mikrofon – während er gleichzeitig das Schlagzeug bedient. Zwischen den Songs gibt es kurze Momente der Erdung, ein Lächeln des Sängers, ein leises „schön, hier zu sein“. Doch das Set bleibt unnahbar und seltsam fremd. Das Publikum reagiert lange zurückhaltend, eher beobachtend als tanzend – bis zur Zugabe. Bei „Narrator“ bricht das erwartete Chaos aus, endlich Bewegung, endlich kollektives Ausbrechen. Den Abschluss macht „Well Met (Fingers Through the Fence)“ – ein ruhiger, introspektiver Ausklang. Keine Explosion, sondern ein sanftes Verlöschen. Squid liefern keine leichte Kost. Sie zeigen live ein ganz anderes Gesicht als auf Platte: wilder, kompromissloser, experimenteller. Es ist eine radikale Performance, eine Show, die nachwirkt, die fordert und hängen bleibt. Das bestätigt auch Dirk, den wir überraschend im Club antreffen – und entsprechend bekräftigt Tom am nächsten Morgen noch einmal, er habe sich „Cowards“ gleich noch einmal angehört hat und ja – nach einem solchen Abend hört man Squid tatsächlich mit anderen Ohren.





