Tár
Regie: Todd Field
Drehbuch: Todd Field
Besetzung: Cate Blanchett, Nina Hoss, Noémie Merlant
Gleich in der Einstiegsszene wird Lydia Tár, die von Cate Blanchett ganz großartig gespielt wird, ausführlich vorgestellt. Auf einer Bühne in Manhattan gibt sie dem New Yorker Journalisten Adam Gopnik, der sich in dieser Szene selbst spielt, ein langes Interview. Im Vorfeld zählt er alle Stationen ihres Lebens detailliert auf: Sie ist eine Dirigentin und Komponistin, die Leonard Bernstein als ihren Mentor bezeichnet und nur Lenny nennt, die mit allen großen Orchestern von Cleveland über Boston bis New York zusammengearbeitet hat und derzeitig den Berliner Philharmonikern vorsteht. Sie hat in Harvard promoviert und gehört zu dem exklusiven EGOT-Club, jenen Künstler*innen, die mit einem Emmy, einem Grammy, einem Oscar und einem Tony ausgezeichnet wurden. Sie hat alle Mahler-Sinfonien bis auf eine eingespielt, die aber auch bereits in Planung ist, und nun veröffentlicht sie noch ihr Buch „Tár on Tár“, auch das mit Sicherheit ein Bestseller. Hier wird also sehr schnell klar, sie ist eine ganz Große ihrer Zunft. Klar wird aber auch, dass die nächsten zweieinhalb Stunden durchaus anstrengend werden können, denn hier wird wild Fiktion und Realität vermischt und das verhandelte Genre ist zumindest mir nicht so detailliert vertraut, denn der Diskurs über Musik und das Dirigieren im Speziellen ist eine der vielen Perspektiven des Films. Daneben geht es um Macht und deren Missbrauch, um Cancel Culture und soziale Ungleichheit, um Geschlechterrollen und Diversität — und vielleicht sind das auch zu viele schwere Themen für einen einzigen Film. Tár muss sich beruflich in einer Männerdomäne behaupten, ist mit ihrer ersten Geigerin, gespielt von Nina Hoss, verheiratet, mit der sie auch ein Kind hat, und hat dennoch für die woken Ansichten der jüngeren Generation nur bedingt Verständnis, wie der Einblick in einen Gast-Meisterkurs an der Juilliard School zeigt, als ein junger Student, der sich als „B(I)PoC” identifiziert, Bach aus ideologischen Gründen ablehnt und Tar ihn daraufhin demütigt. Cate Blanchett spielt diese überaus selbstbewusste und nicht gerade sympathische Figur brillant. Letztendlich scheitert sie an ihrem überhöhten Selbstbewusstsein und ihrem überheblichen Ehrgeiz. Was genau vorgefallen ist, offenbart der Film in einigen knappen Hinweisen. Tár selbst jedenfalls scheint zu ahnen, dass etwas nicht stimmt: Sie ist unruhig, paranoid und schlaflos. Es gibt seltsame Geräusche und Dinge, die nicht an ihrem Platz sind. Alles scheint auf eine Art #MeToo-Skandal hinauszulaufen, der auch über Indiskretionen ihrer gekränkten und missachteten Assistentin Francesca (Noémie Merlant), die Tar ebenfalls an der emotionalen Leine hält, an die Öffentlichkeit gerät. Am Ende scheint sie tatsächlich paranoid, wird von allen Seiten gemieden und erlebt einen gewaltigen, endgültigen Kontrollverlust. Komplett gescheitert, versucht sie in der Ferne einen verzweifelten, stummen Neuanfang. „Die alten Krokodile überleben irgendwie” muss die einst gefeierte und aufgrund ihrer (vermeintlichen) Verfehlungen gefeuerte Dirigentin am Ende bei einem Bootstrip in Thailand hören — und dieses Bild läßt sich durchaus auch gesellschaftlich interpretieren. Der Film macht es einem nicht gerade leicht, dennoch ist es ein Vergnügen, ihn zu sehen und zu hören.