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The Battery Farm

Durch­schnitt­li­che Lese­dauer 3 Minu­ten

The Bat­tery Farm ist eine vier­köp­fige Punk-Band aus Man­ches­ter. Sie beschrei­ben ihren Sound als „Doom Punk“ und spie­len einen gefühls­be­ton­ten, gna­den­lo­sen Indus­trial-Punk mit Anklän­gen an Idles und Fugazi. Ihre Musik ist ein keh­li­ger Schrei gegen eine gewalt­tä­tige, ver­lo­gene Welt: teils Nihi­lis­mus, teils Hoff­nung, mal Wut, mal Freude – bei­ßen­der Punk­rock, der sich gegen eine zuneh­mend ver­ro­hende Gesell­schaft rich­tet. Die Band, bestehend aus den Brü­dern Ben (Sän­ger) und Domi­nic Corry (Gitar­rist) sowie Bas­sist Paul Wor­rall und Drum­mer Sam Par­kin­son, über­zeugte schon mit ihrem Debüt „Flies“ aus dem Jahr 2022 durch ihre exzel­lente, rohe Härte.

The Battery Farm, Dark Web

The Battery Farm

Dark Web

Ver­öf­fent­licht: 29. Novem­ber 2024
Label: A1M Records

Beat by No-one’s pain moves me anymore
No injustice shocks me anymore
What will I become?
Get this thing the fuck away from me

Text­aus­schnitt aus „Hail Mary“

Der Ein­stieg in „Dark Web“, das zweite offi­zi­elle Stu­dio­al­bum der Band The Bat­tery Farm, ist unge­wöhn­lich ruhig und getra­gen. „Under the Bomb“ ist ein sanf­ter, dunk­ler Gothic-Folk-Song, in dem Front­mann Ben Corry unge­wohnt ängst­lich und fast rühr­se­lig klingt. Erst gegen Ende des Songs kippt die Stim­mung ins Bedroh­li­che. Ein beun­ru­hi­gen­der und ver­zerr­ter Sound lässt Übles erwar­ten und ver­stärkt das Gefühl einer bevor­ste­hen­den Bedro­hung. Tat­säch­lich ent­stand der Song in den ers­ten Mona­ten des rus­si­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukraine. Ein Krieg, der ganz Europa erfasst, scheint plötz­lich wie­der mög­lich. Das beklem­mende Gefühl aus dem Kal­ten Krieg, geprägt von der ato­ma­ren Bedro­hung, kehrt zurück. Die unfass­bare Apo­ka­lypse wird erneut denk­bar. Mit „The Next Deca­des“ kehrt die Band zu ihrer bekann­ten Wild­heit und dem viel­sei­ti­gen Gesang zurück: knor­ri­ger Punk, unter­malt von don­nern­den Drums und düs­te­ren Doom-Riffs. Text­lich betrach­tet der Song die schlimms­ten Sze­na­rien, die noch auf uns zukom­men könn­ten, und greift damit die Bedro­hung des Ope­ners auf. Es ist ein Auf­schrei der Ver­zweif­lung. In „Hail Mary“ domi­niert ein mit­rei­ßen­der, mathe­ma­ti­scher Bass­riff, um den sich unzäh­lige Effekte und Ver­zer­run­gen dre­hen. Der Song kri­ti­siert frus­triert das Doom­scrol­ling und den süch­tig machen­den Ter­ror des 24-Stun­den-Nach­rich­ten­zy­klus. Auch „Oh God“ nimmt ver­meint­lich reli­giöse The­men auf: ein wil­der, gebets­ähn­li­cher Track, der von groß­ar­ti­ger Rhyth­mus­ar­beit dyna­misch vor­an­ge­trie­ben wird. Hüp­fende Bass­li­nien, lang­sam dröh­nende Trom­meln und reich­lich Gitar­ren-Feed­back schaf­fen ein Sound-Chaos, dem man sich nur zu gerne hin­gibt. Der Titel­track „Dark Web“ folgt als düs­tere, wun­der­schöne Bal­lade, durch­drun­gen von einer sub­ti­len Lynch-Atmo­sphäre. Front­mann Ben Corry sin­niert in bes­ter Croo­ning-Manier: „The Hum of Hell is get­ting ever lou­der / how long can I tell mys­elf it’s all fine?“

Vom Eismann zur Atombedrohung

„Stevie’s Ices“ schlägt das Album dann eine völ­lig uner­war­tete Rich­tung ein: Ein Eis­ver­käu­fer kün­digt sich an – ist es Zufall, dass der dar­auf fol­gende Song „Ici­c­les“ heißt? Die­ser funky Ohr­wurm kom­bi­niert schräge Gitar­ren­sounds mit ein­gän­gi­gem Sprech­ge­sang. Der Track „John Bull’s Hard Times“ zeich­net ein düs­te­res Bild der gleich­na­mi­gen Figur, einer natio­na­len Per­so­ni­fi­ka­tion Groß­bri­tan­ni­ens. Jahr­zehn­te­lange, neo­li­be­ral gesteu­erte Gän­ge­lung haben ihn wütend, müde, para­noid und arm gemacht. Diese Wut ent­lädt sich in krei­schen­den Gitar­ren, kra­chen­den Drums und gal­le­spu­cken­den Vocals. Mit „It’s a Shame, Thanks a Lot“ prä­sen­tiert die Band einen sehr ein­fühl­sa­men, per­sön­li­chen Track. In eine groß­ar­tige Melo­die ver­packt ver­ar­bei­tet Ben Corry sei­nen Ner­ven­zu­sam­men­bruch, der 2023 in einem Kran­ken­haus endete. Er spricht offen über seine psy­chi­sche Gesund­heit, die mons­tröse Angst, den Kon­troll­ver­lust und die Hilf­lo­sig­keit, die ihn damals beglei­te­ten. Der Schluss­track „After the Bomb“ greift schließ­lich den Gedan­ken des Ope­ners noch ein­mal auf: Die ato­mare Ver­nich­tung bleibt eine reale Mög­lich­keit. Eine voll­stän­dige nukleare Abrüs­tung ist für unser Über­le­ben uner­läss­lich, denn solange diese Waf­fen exis­tie­ren, sind wir alle in Gefahr. Pas­send dazu ziert ein Zitat des bri­ti­schen Phi­lo­so­phen und Mathe­ma­ti­kers Bert­rand Rus­sell die Rück­seite des Albums: „You may reason­ably expect a man to walk a tigh­trope safely for ten minu­tes; it would be unre­asonable to do so wit­hout acci­dent for two hundred years.“ Ein Album wie ein Auf­schrei nach Ver­än­de­rung – wütend, fes­selnd und beunruhigend.