Ein Abend voller melancholischer Coolness

The Murder Capital

11. Oktober 2023 • Club Volta, Köln

Die iri­sche Post-Punk-Band The Mur­der Capi­tal gibt es schon etwas län­ger: 2018 in Dub­lin gegrün­det, hat sie sich auf der Insel längst den Ruf als eine der kraft­volls­ten und vitals­ten Live-Bands erspielt. Hier­zu­lande ist das Quin­tett hin­ge­gen immer noch wei­test­ge­hend unbe­kannt. Wird Zeit, dies zu ändern. Mit ihrem Anfang des Jah­res erschie­nen zwei­ten Album „Gigi’s Reco­very“ im Gepäck star­ten sie ihre Europa- und UK-Tour und machen dabei auch einen klei­nen Stop im Club Volta in Köln. Schö­ner Laden, viel­ver­spre­chende Band — nichts wie hin…

Doch vor dem Haupt­act betritt noch eine junge Band aus Crewe, einer Stadt nahe Man­ches­ter, die Bühne: Uni­ver­sity (aband­cal­led­uni­ver­sity). Ihre Debüt-EP „Title Track“ ist erst für den 3. Novem­ber 2023 ange­kün­digt. Alles, was wir an die­sem Abend hören wer­den, ist also nahezu unver­öf­fent­licht – und was man uns da um die Ohren haut, hat es in sich. Ein irres Inferno aus Emo und Hard­core, Grind­core und Punk — gerne auch alles in einen Song gepackt — pras­selt auf das Publi­kum ein. Mit wil­den, har­ten Drums, drah­ti­ger, lär­mi­ger Gitarre und einem tro­cke­nem, rohen Bass ent­facht das Trio wun­der­bar dyna­mi­sche Erup­tio­nen in einer gewal­ti­gen Laut­stärke und ent­fes­seln­der Roh­heit. Wobei Trio dabei nicht ganz rich­tig ist. Neben den drei Musi­kern (Gitarre/Vocals, Bass und Schlag­zeug) ist noch ein vier­ter Mann zuge­gen: Ein mit schwar­zer Sturm­haube Mas­kier­ter, der mit­tels eines hand­schrift­li­chen Zet­tels die jewei­li­gen Tracks ankün­digt, um dann auf dem Büh­nen­bo­den sit­zend an sei­nem Lap­top zu spie­len, wäh­rend die Musi­ker in einem irren, noi­si­gen Sound das Ange­kün­digte abfa­ckeln. Diese Band ist anstren­gend, macht aber rie­sig Spass. Abso­lut beein­dru­ckend vor allem, mit wel­cher Wild­heit und Prä­zi­sion der Schlag­zeu­ger trotz der vie­len unver­mit­tel­ten Breaks sein Drum­set bear­bei­tet. Es ist ins­ge­samt eine Per­for­mance, die einen sprich­wört­lich sprach­los zurück­läßt. Nach die­ser kathar­ti­schen Vor­stel­lung ist man froh, dass man sich wäh­rend der kur­zen Umbau­pause ein­mal kräf­tig durch­schüt­teln und neu sor­tie­ren kann. 

Nach kur­zer Erho­lungs­pause betritt das Quin­tett The Mur­der Capi­tal aus dem Schat­ten her­aus die Bühne, unter­malt von einem tra­gen­den, schwe­ben­den Sound und beginnt sei­nen Gig mit „The stars will leave their stage“, dem fünf­ten Stück von „Gigi’s Reco­very“, das zunächst mit einem ver­hal­te­nen, aber mar­kan­ten Key­board-Spren­kel star­tet, bevor ein küh­les Drum­ming und McCo­verns ent­rück­ter, dunk­ler Gesang in den Song ein­füh­ren. Ein viel­ver­spre­chen­der Start mit einem Sound, der wie eine zeit­ge­mäße Ver­sion der gro­ßen Dark Wave Welle der 80er klingt, per­fekt abge­mischt für den nicht allzu gro­ßen und nicht wirk­lich vol­len Saal. Nach „A thousand lives“, eben­falls vom aktu­el­len Album, und dem wun­der­bar düs­te­ren, noi­sig-wavi­gen „Love love love“ vom Vor­gän­ger „When i have fears“ wen­det sich McGo­vern ans Publi­kum und ver­kün­det, dass der Pit geöff­net sei. Und so wird beherzt nach „More is less“ geschubst, getanzt und gesprun­gen. Gitar­rist Cathal Roper erhebt sich über das Publi­kum und stürzt sich in eine extrem raue Inter­pre­ta­tion die­ses Songs, Schlag­zeu­ger Diar­muid Brennan bear­bei­tet das Drum­set in alter Post-Punk-Manier, wäh­rend der dan­dy­hafte McGo­vern, geschmückt mit einer dun­kel getön­ten Son­nen­brille, läs­sig über die Bühne tigert und immer wie­der „More is less“ brüllt. Danach wird es dann wie­der deut­lich gemäch­li­cher. Mit „Heart in the hole“. prä­sen­tiert die Band ihren neu­es­ten Track. Ein inten­siv-melan­cho­li­scher Song, der leichte Folk-Ein­flüsse erken­nen lässt und von ein­fa­chen, emo­tio­na­len Gitar­ren­riffs getra­gen wird. So wird die­ses Kon­zert zu einer wun­der­ba­ren Mischung aus lau­ten, noi­si­gen und getra­gen melan­cho­li­schen Momen­ten – prä­sen­tiert mit einer Cool­ness, die ein­zig­ar­tig ist. Immer wie­der gibt es Pas­sa­gen, die den Mosh­pit wie­der­be­le­ben, aber bei aller Schroff­heit — es rum­pelt und don­nert mit­un­ter ganz gehö­rig — herrscht zumeist eine trei­bende, dunkle Stim­mung. Der Abend endet mit „Ethel“, das wie­derum mit einer leicht flir­rende Gitarre star­tet, bevor James McCo­verns ein­neh­mende Stimme den Raum füllt und das Publi­kum ein letz­tes Mal in das wuch­tige, emo­tio­nale Dun­kel von The Mur­der Capi­tal gezerrt wird. Kein Wun­der, dass sich diese Band, ähn­lich wie ihre iri­schen Zeit­ge­nos­sen „Fon­tai­nes DC“ und die Punk-Rock-Stars „Idles“, als einer der fas­zi­nie­rends­ten Live-Acts der letz­ten Jahre eta­bliert hat. Für mich auf jeden Fall die beste Live-Show die­ses Jah­res — so far.

Nor­ma­ler­weise höre ich auf der Rück­fahrt nach Düs­sel­dorf immer Musik. Doch in die­ser Nacht rolle ich ruhig durch die Dun­kel­heit und lasse den Kon­zert­abend woh­lig nachhallen.