Der Schrecken liegt im Sound

Durch­schnitt­li­che Lese­dauer 3 Minu­ten

The Zone of Interest

Regie: Jona­than Gla­zer
Musik: Mica Levi
Beset­zung: Chris­tian Frie­del, San­dra Hül­ler, Johann Kart­haus, Luis Noah Witte

Der Film „The Zone of Inte­rest“ ist inspi­riert vom gleich­na­mi­gen, hier­zu­lande aber umstrit­te­nen Roman des bri­ti­schen Schrift­stel­lers Mar­tin Amis. Wäh­rend Amis Roman, der in der deut­schen Fas­sung mit „Inter­es­sen­ge­biet“ beti­telt ist, noch als Lie­bes­ge­schichte unter SS-Leu­ten im IG-Far­ben Buna-Werk Ausch­witz ange­legt ist, kon­zen­triert sich die sehr freie Adap­tion von Regis­seur Jona­than Gla­zer auf den rea­len KZ-Kom­man­dan­ten Rudolf und des­sen Frau Hed­wig Höß, gespielt von Chris­tian Frie­del und San­dra Hül­ler. Und es ist eine Visua­li­sie­rung der Bana­li­tät des Bösen: Fami­lie Höß lebt in einer schein­ba­ren Bil­der­buch­idylle. Der Gar­ten ist gepflegt, Gemüse und Kräu­ter gedei­hen präch­tig, die Kin­der plan­schen im Was­ser, man macht har­mo­ni­sche Fami­li­en­aus­flüge – eine ganz nor­male, wohl­ha­bende und glück­li­che Fami­lie, wäre da nicht jen­seits der Grund­stücks­mau­ern das Ver­nich­tungs­la­gers Ausch­witz. Der Film erzählt aus dem nor­ma­len All­tag der Fami­lie Höß mit sei­nen klei­nen Freu­den und Nick­lig­kei­ten. Das unvor­stell­bare Grauen taucht bild­lich ledig­lich in klei­nen Details auf: die Rauch­schwa­den, die über den Gar­ten wehen, die Klei­der, die Hed­wig von den Ermor­de­ten über­nimmt, die Asche, die den nahen Fluss ver­färbt. Aber lässt sich der Hor­ror der Ver­nich­tungs­la­ger über­haupt in Bil­dern erfas­sen? So ist es vor allem der Sound des Films, der einen mit vol­ler Wucht trifft: Gleich am Anfang steht die Dun­kel­heit in Form einer schwar­zen Lein­wand, dazu wum­mert und heult ein unge­heu­rer Sound, anfangs noch leise wird er immer dich­ter, lau­ter, aggres­si­ver, um dann am Ende fast über­gangs­los in Vogel­ge­zwit­scher über­zu­ge­hen. Das Schwarz der Lein­wand fadet über in Bil­der eines schö­nen Som­mer­ta­ges, eine fünf­köp­fige Fami­lie badet im Fluss. Der Film-Score stammt von dem Kom­po­nis­ten Mica Levis. Die Los Ange­les Film Cri­tics Asso­cia­tion ver­lieh ihm dafür einen Preis für die beste Musik (bereits für „Under the Skin“ gewann das Team eben­falls die­sen Preis). 

Quälend laut, zerstörerisch und brutal

Das Ende von Gla­zers Film über die Nazi-Fami­lie greift auf den Anfang zurück: Wie­derum eine schwarze Lein­wand, aber­mals unter­legt mit die­sen quä­lend lau­ten, dis­har­mo­ni­schen, elek­tro­ni­schen Dro­nes und abs­trak­ten, fast unmensch­li­chen Stim­men. „Das sind echte mensch­li­che Schreie”, sagt Levi in einem Inter­view, „von einer erstaun­li­chen Gruppe von Sän­gern“. Um mög­lichst nah bei Pro­duk­tion und Schnitt des Films zu sein und auf den jewei­li­gen Bear­bei­tungs­pro­zess reagie­ren zu kön­nen, rich­tete Levi sich ein Stu­dio im Lon­do­ner Stadt­teil Cam­den in der Nähe von Gla­zer und dem Cut­ter Paul Watts ein. Dabei kommt der Film selbst fast kom­plett ohne Musik aus, mal spielt eine Mili­tär-Brass­ka­pelle im win­ter­li­chen Pavil­lon oder es gibt klas­si­sche Hin­ter­grund­mu­sik bei einer abend­li­chen Gala. All­ge­gen­wär­tig aller­dings sind die bru­ta­len Geräu­sche aus dem Ver­nich­tungs­la­ger. Ein stän­di­ges unheil­vol­les Grum­meln, zer­schos­sen von fer­nen Schreien, Hun­de­ge­bell und gele­gent­li­chen Schüs­sen. Der Schre­cken die­ses bru­ta­len Sounds wird noch ver­stärkt, in dem die Pro­du­zen­ten auf den sonst so ange­neh­men, Nähe ver­mit­teln­den Ste­reo­ton verzichten.

Unter Beobachtung, fast schon dokumentarisch

Und wie beim Ton bedient sich Gla­zer auch bei den Auf­nah­men eines ein­fa­chen, tech­ni­schen Tricks. Die Sze­nen in Haus und Gar­ten kom­men ohne Kame­ra­leute aus. Fest instal­lierte Kame­ras beob­ach­ten aus einem Wohn­wa­gen gesteu­ert das Gesche­hen. Es wird kein künst­li­ches Licht ver­wen­det. So wis­sen die Schauspieler*innen nie genau, wann und in wel­cher Ein­stel­lung sie gefilmt wer­den, daher gibt es auch nur wenige Close-Ups. Dadurch, dass auch die Dia­loge oft impro­vi­siert wir­ken oder erst gar nicht zu ver­ste­hen sind, ver­leiht er dem Film einen fast schon doku­men­ta­ri­schen Cha­rak­ter. Im eng­lisch­spra­chi­gen Trai­ler des Fil­mes sagt Gla­zer dazu: „Ich wollte nicht den Mas­sen­mör­der dar­stel­len, so dass man sich als Publi­kum davon distan­zie­ren kann und sagen, ’so bin ich nicht’ ”. Er wolle Men­schen dar­stel­len, die von Din­gen träu­men, die auch heute für viele nor­mal sind. Am Ende gibt es dann tat­säch­lich eine län­gere, doku­men­ta­ri­sche Sequenz: Mit­ar­bei­ter beim Put­zen in der ehe­ma­li­gen Gas­kam­mer, beim Rei­ni­gen der Ver­bren­nungs­öfen, sta­pel­weise Schuhe, Krü­cken und medi­zi­ni­sche Geräte sowie Vitri­nen mit Häft­lings­uni­for­men. Bil­der, die unkom­men­tiert blei­ben und abs­trakt erschei­nen. Das Grauen ent­steht im Kopf der Zuschauer*innen und lässt einen lange nicht mehr los.

Übri­gens: Mica Levi und die bri­ti­sche Expe­ri­men­tal­künst­le­rin Lei­sha Tho­mas aka Alpha Maid haben im Mai 2023 die ganz phan­tas­ti­sche EP „Spresso“ ver­öf­fent­licht. Fünf extrem kurze Tracks mit süch­tig machen­dem Fuzz und herr­li­chen Dro­nes.
Hört mal rein — über Spo­tify oder hier!

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