The Zone of Interest
Regie: Jonathan Glazer
Musik: Mica Levi
Besetzung: Christian Friedel, Sandra Hüller, Johann Karthaus, Luis Noah Witte
Der Film „The Zone of Interest“ ist inspiriert vom gleichnamigen, hierzulande aber umstrittenen Roman des britischen Schriftstellers Martin Amis. Während Amis Roman, der in der deutschen Fassung mit „Interessengebiet“ betitelt ist, noch als Liebesgeschichte unter SS-Leuten im IG-Farben Buna-Werk Auschwitz angelegt ist, konzentriert sich die sehr freie Adaption von Regisseur Jonathan Glazer auf den realen KZ-Kommandanten Rudolf und dessen Frau Hedwig Höß, gespielt von Christian Friedel und Sandra Hüller. Und es ist eine Visualisierung der Banalität des Bösen: Familie Höß lebt in einer scheinbaren Bilderbuchidylle. Der Garten ist gepflegt, Gemüse und Kräuter gedeihen prächtig, die Kinder planschen im Wasser, man macht harmonische Familienausflüge – eine ganz normale, wohlhabende und glückliche Familie, wäre da nicht jenseits der Grundstücksmauern das Vernichtungslagers Auschwitz. Der Film erzählt aus dem normalen Alltag der Familie Höß mit seinen kleinen Freuden und Nickligkeiten. Das unvorstellbare Grauen taucht bildlich lediglich in kleinen Details auf: die Rauchschwaden, die über den Garten wehen, die Kleider, die Hedwig von den Ermordeten übernimmt, die Asche, die den nahen Fluss verfärbt. Aber lässt sich der Horror der Vernichtungslager überhaupt in Bildern erfassen? So ist es vor allem der Sound des Films, der einen mit voller Wucht trifft: Gleich am Anfang steht die Dunkelheit in Form einer schwarzen Leinwand, dazu wummert und heult ein ungeheurer Sound, anfangs noch leise wird er immer dichter, lauter, aggressiver, um dann am Ende fast übergangslos in Vogelgezwitscher überzugehen. Das Schwarz der Leinwand fadet über in Bilder eines schönen Sommertages, eine fünfköpfige Familie badet im Fluss. Der Film-Score stammt von dem Komponisten Mica Levis. Die Los Angeles Film Critics Association verlieh ihm dafür einen Preis für die beste Musik (bereits für „Under the Skin“ gewann das Team ebenfalls diesen Preis).
Quälend laut, zerstörerisch und brutal
Das Ende von Glazers Film über die Nazi-Familie greift auf den Anfang zurück: Wiederum eine schwarze Leinwand, abermals unterlegt mit diesen quälend lauten, disharmonischen, elektronischen Drones und abstrakten, fast unmenschlichen Stimmen. „Das sind echte menschliche Schreie”, sagt Levi in einem Interview, „von einer erstaunlichen Gruppe von Sängern“. Um möglichst nah bei Produktion und Schnitt des Films zu sein und auf den jeweiligen Bearbeitungsprozess reagieren zu können, richtete Levi sich ein Studio im Londoner Stadtteil Camden in der Nähe von Glazer und dem Cutter Paul Watts ein. Dabei kommt der Film selbst fast komplett ohne Musik aus, mal spielt eine Militär-Brasskapelle im winterlichen Pavillon oder es gibt klassische Hintergrundmusik bei einer abendlichen Gala. Allgegenwärtig allerdings sind die brutalen Geräusche aus dem Vernichtungslager. Ein ständiges unheilvolles Grummeln, zerschossen von fernen Schreien, Hundegebell und gelegentlichen Schüssen. Der Schrecken dieses brutalen Sounds wird noch verstärkt, in dem die Produzenten auf den sonst so angenehmen, Nähe vermittelnden Stereoton verzichten.
Unter Beobachtung, fast schon dokumentarisch
Und wie beim Ton bedient sich Glazer auch bei den Aufnahmen eines einfachen, technischen Tricks. Die Szenen in Haus und Garten kommen ohne Kameraleute aus. Fest installierte Kameras beobachten aus einem Wohnwagen gesteuert das Geschehen. Es wird kein künstliches Licht verwendet. So wissen die Schauspieler*innen nie genau, wann und in welcher Einstellung sie gefilmt werden, daher gibt es auch nur wenige Close-Ups. Dadurch, dass auch die Dialoge oft improvisiert wirken oder erst gar nicht zu verstehen sind, verleiht er dem Film einen fast schon dokumentarischen Charakter. Im englischsprachigen Trailer des Filmes sagt Glazer dazu: „Ich wollte nicht den Massenmörder darstellen, so dass man sich als Publikum davon distanzieren kann und sagen, ’so bin ich nicht’ ”. Er wolle Menschen darstellen, die von Dingen träumen, die auch heute für viele normal sind. Am Ende gibt es dann tatsächlich eine längere, dokumentarische Sequenz: Mitarbeiter beim Putzen in der ehemaligen Gaskammer, beim Reinigen der Verbrennungsöfen, stapelweise Schuhe, Krücken und medizinische Geräte sowie Vitrinen mit Häftlingsuniformen. Bilder, die unkommentiert bleiben und abstrakt erscheinen. Das Grauen entsteht im Kopf der Zuschauer*innen und lässt einen lange nicht mehr los.
Übrigens: Mica Levi und die britische Experimentalkünstlerin Leisha Thomas aka Alpha Maid haben im Mai 2023 die ganz phantastische EP „Spresso“ veröffentlicht. Fünf extrem kurze Tracks mit süchtig machendem Fuzz und herrlichen Drones.
Hört mal rein — über Spotify oder hier!