Tortoise

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Tor­toise sind eine seit 1990 aktive US-ame­ri­ka­ni­sche Post-Rock-Band aus Chi­cago. Die Band um John McEn­tire, Dan Bit­ney, Doug McCombs, John Hern­don und spä­ter Jeff Par­ker ent­wi­ckel­ten einen Stil, der sich kon­se­quent zwi­schen allen Gen­res stellt: Mini­ma­lis­mus, Jazz, Elec­tro­nica, Dub, Kraut­rock und expe­ri­men­telle Rock­struk­tu­ren ver­schmel­zen bei ihnen zu einem unver­wech­sel­ba­ren Sound. Mit ihren atmo­sphä­ri­schen Kom­po­si­tio­nen gel­ten Tor­toise als wich­tige Weg­be­rei­ter der soge­nann­ten Post-Rock-Bewe­gung. Vor der Grün­dung von Tor­toise zu Beginn der 90er waren alle Mit­glie­der bereits in ande­ren Rock- und Punk­bands aktiv gewe­sen. Bis heute sind die Musi­ker Teil eines gro­ßen Chi­ca­goer Netz­werks, spie­len neben ihrer Mit­glied­schaft bei Tor­toise in For­ma­tio­nen wie The Sea And Cake, Iso­tope 217, Bro­ke­back und Chi­cago Under­ground oder sind als Pro­du­cer tätig. Tor­toise arbei­ten weni­ger wie eine klas­si­sche Rock­band und mehr wie ein Ensem­ble, ihr musi­ka­li­scher Ansatz ist kol­lek­tiv geprägt. Beson­ders ihre Alben Mil­li­ons Now Living Will Never Die“ (1996) und TNT“ (1998) mach­ten sie zu Pio­nie­ren einer Szene, die bis heute von ihrem Sound­ver­ständ­nis beein­flusst ist. Tor­toise ste­hen für Prä­zi­sion, Offen­heit und Expe­ri­men­tier­freude – für Musik, die sich Zeit nimmt und dabei immer wie­der neue Räume erschließt.

Zitat von Doug McCombs

Tortoise, Touch

Tortoise
Touch

Ver­öf­fent­licht: 24. Okto­ber 2025
Label: Inter­na­tio­nal Anthem

Mit Touch“ legen Tor­toise den Nach­fol­ger ihres 2016 erschie­ne­nen The Cata­stro­phist“ vor – und erneut ein Werk, das sich einer schnel­len Rezep­tion ent­zieht. Die Chi­ca­goer Post-Rock-Pio­niere, längst Meis­ter der instru­men­ta­len Zwi­schen­töne, knüp­fen an ihre eigene Zeit­lo­sig­keit an. Touch“ ist kein radi­ka­ler Neu­an­fang, son­dern eine gedul­dige Weiterentwicklung.

Strukturen, die wachsen statt starten

Tor­toise blei­ben Archi­tek­ten des Non­linea­ren. Die Stü­cke ent­fal­ten sich orga­nisch, statt klas­sisch ein­zu­set­zen: Gitar­ren tre­ten vor­sich­tig ins Licht, Syn­ths legen sich um ver­scho­bene Rhyth­men, und die cha­rak­te­ris­ti­schen Drum­patterns wer­den durch ana­loge Wärme geer­det. Der Auf­takt Vexa­ti­ons“ spielt mit ner­vö­ser Ener­gie: kla­ckernde Per­cus­sion, ver­scho­bene Samples, ein trei­ben­der, aber zurück­hal­ten­der Bass. Kleine Unstim­mig­kei­ten wer­den hier zu bewusst gesetz­ten dra­ma­tur­gi­schen Details. Auf der Sin­gle Laye­red Pre­sence“ trifft ver­spielte Elek­tro­nik auf orga­ni­sche Drums – ein kom­pak­tes Destil­lat des Album­cha­rak­ters. Works and Days“ über­rascht mit zer­hack­ten Samples und fein ver­scho­be­ner Per­kus­sion. Mit Elka“taucht das Album in eine dichte Atmo­sphäre ein: ein tucken­der Grund­puls, dar­über fra­gile Vin­tage-Key­boards – mög­li­cher­weise ein Ver­weis auf den ita­lie­ni­schen Orgel­bauer Elka. Pro­me­nade à deux“ zeigt die Band von ihrer ent­spann­ten, offen war­men Seite: mini­mal, aber emo­tio­nal schim­mernd – Wohl­fühl­mu­sik für Avant­gar­dis­ten. Deut­lich krau­ti­ger wird es mit Axial Sea­m­ount“, des­sen über­la­gerte Rhyth­mus­frag­mente und elek­tro­ni­sche Ein­würfe die geo­lo­gi­sche Land­schaft des titel­ge­ben­den Unter­was­ser-Vul­kans skiz­zie­ren. A Title Comes“ redu­ziert alles auf den Kern: wenige Motive, große Wir­kung. Rated OG“ wie­derum kom­pri­miert Groove und Sound­flä­chen zu einem kur­zen, poin­tier­ten Moment. Gegen Ende ver­dich­tet sich der Cha­rak­ter des Albums: Oga­nes­son“ setzt rhyth­mi­sche Akzente, bleibt aber ange­nehm rela­xed. Night Gang“ schließ­lich, mit sei­nen mini­ma­lis­ti­schen Melo­dien und dem schlin­gen­den Beat, ver­neigt sich hör­bar vor Ennio Morricone.

Kollektives Understatement als Stilmittel

Bemer­kens­wert ist die Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der Tor­toise auf Vir­tuo­si­tät ver­zich­ten – obwohl sie genau dazu fähig wären. Die Band agiert als ein per­fekt ein­ge­spiel­tes Ensem­ble, das Räume öff­net: für Pau­sen, für melo­di­sche Minia­tu­ren, für feine Schat­tie­run­gen. Touch“ drängt sich nicht auf – es lädt ein. Wer sich Zeit nimmt, ent­deckt ein fein ver­wo­be­nes Netz aus Klang­far­ben, das den Post-Rock nicht neu defi­niert, aber seine lei­sen Stär­ken ins Zen­trum rückt. Für Fans ein wür­di­ges, zurück­ge­lehn­tes Kapi­tel; für Neu­ein­stei­ger ein zugäng­li­ches Tor in die Welt von Tortoise.