Ein Stück Zeitgeschichte

Tscherwonez

Regie: Gábor Altor­jay, Janos Mar­ton, Randi Hoff­mann
Dreh­buch: Gábor Altor­jay
Beset­zung: Tom Dokou­pil, Peter Halasz, Ist­van Bal­int, Eva Buchmüller

Warum heute, im Jahr 2023, über einen Film schrei­ben, der 1982 erst­mals aus­ge­strahlt wurde? Nun, ich war gerade in Ham­burg und stellte fest, dass „Tscher­wo­nez”, ein Film des unga­risch-stäm­mi­gen Regis­seurs Gabor Altor­jay, an vier Ter­mi­nen in einem Kino in Ham­burg Altona gezeigt wird. Ich habe den Film damals ‘82 gese­hen und hätte ihn mir gerne wie­der ange­schaut, mußte aber lei­der die Heim­reise nach Düs­sel­dorf antre­ten. Nun fei­ert der Film in einer limi­tier­ten Neu­auf­lage die Rück­kehr in eini­gen aus­ge­wähl­ten deut­schen Kinos. Soll­tet ihr also die Gele­gen­heit haben, schaut ihn euch an, wobei ich mir nicht sicher bin, ob er mich heute ähn­lich über­zeu­gen und umhauen würde, wie er es damals getan hat. „Tscher­wo­nez”, rus­sisch für „Gold“, ist eine avant­gar­dis­tisch umge­setzte, expe­ri­men­telle New-Wave-Satire, die tem­po­reich und komö­di­an­tisch insze­niert wurde — mit jeder Menge Anspie­lun­gen auf rus­si­sche Avant­gar­de­filme, ins­be­son­dere auf Ser­gej Eisen­steins „Pan­zer­kreu­zer Potemkin”. 

Ein sowje­ti­scher Matrose setzt sich bei sei­nem ers­ten Auf­ent­halt im Wes­ten in Ham­burg von sei­nem Schiff ab. Die titel­ge­ben­den Gold­mün­zen, die er — Vor­sicht Kli­schee — in einer höl­zer­nen Matrjoschka-Puppe geschmug­gelt hat, sol­len ihm das Über­le­ben im Wes­ten ermög­li­chen. So macht er sich auf die Suche nach sei­nem ver­schol­le­nen Bru­der und wird sowohl vom KGB und dem deut­schen Geheim­dienst als auch von Waf­fen­händ­lern und sen­sa­ti­ons­lüs­ter­nen Repor­tern ver­folgt. Dabei ist der Film vor allem ein Spiel mit der Begeg­nung zweier Wel­ten, die damals streng getrennt waren und sich feind­lich gegen­über­stan­den. So sieht man bei­spiels­weise einen sowje­ti­schen Kom­man­dan­ten vor einem Bild Lenins und im nächs­ten Schnitt deut­sche Ver­fas­sungs­schüt­zer vor einem Foto Hel­mut Kohls. Das Essen eines Bur­ger King-Bur­gers ist für einen Sowjet­bür­ger ebenso eine Her­aus­for­de­rung wie die rich­tige Benut­zung einer west­deut­schen Toi­lette und in dem unge­ahn­ten Sün­den­pfuhl auf der Ree­per­bahn gerät er auch schon ein­mal schnell in ein schrä­ges Set­ting. So stol­pert der Matrose, gespielt vom Musi­ker Tom Dokou­pil, durch die fremde, wun­der­same Welt Ham­burgs und gerät dabei zwi­schen aller­lei Fron­ten. Die Stadt spielt dabei ihre ganz eigene Rolle, ebenso der wun­der­bare Sound­track von „The Wirt­schafts­wun­der“ (deren Gitar­rist Haupt­dar­stel­ler Dokou­pil ja auch war). Die Musik der Lim­bur­ger No-Wave-Band war es auch, die mich auf die­sen Film auf­merk­sam gemacht hat. Ich habe Film und Musik damals jeden­falls gefei­ert und hoffe, ich werde noch ein­mal die Gele­gen­heit haben, zu über­prü­fen, ob das heute noch Bestand hat.

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