,

Zinn

Zinn (alt­hoch­deutsch zin „Stab, Zinn“) ist ein che­mi­sches Ele­ment der vier­ten Haupt­gruppe mit dem Sym­bol Sn (lat. stan­num „Zinn“). Das sil­ber­weiß glän­zende und sehr wei­che Schwer­me­tall lässt sich mit dem Fin­ger­na­gel rit­zen. Auf­fäl­lig sind sein nied­ri­ger Schmelz­punkt und die rela­tiv hohe Sie­de­tem­pe­ra­tur. Keine Ahnung, wel­che Gemein­sam­kei­ten das Metall mit der Wie­ner Band Zinn hat. Wie auch immer: 2012 star­tet die Musi­ke­rin Mar­ga­rete Wagen­ho­fer in Salz­burg ihr Solo­pro­jekt „Small Night Sear­ching“. Spä­ter, 2018 in Wien, inter­pre­tiert sie die Songs ihres Solo­pro­jekts im Band­for­mat neu – gemein­sam mit Jas­min Strauss und Lilian Kauf­mann. Die Band Zinn wird gebo­ren. Und woher der Name? „Es gibt viele ver­schie­dene Asso­zia­tio­nen zu unse­rem Band­na­men. Für mich war die Nähe von ‚Sinn‘ und ‚Zinn‘ ein­fach sehr schön. Aber das Cha­rak­te­ris­ti­kum ‚sehr wei­ches Schwer­me­tall‘ passt natür­lich auch genau zu uns!“, so die Musi­ke­rin­nen. Ihr Sound wird beein­flusst von Psy­che­de­lic-Folk, Lo-Fi, Blues und Punk-Ansät­zen, domi­niert von der dunk­len, getra­ge­nen Alt­stimme der Sän­ge­rin und Gitar­ris­tin Mar­ga­rete Wagen­ho­fer – in Kom­bi­na­tion mit der melan­cho­li­schen Lethar­gie, den ver­track­ten Lyrics und dem läs­sig vor­wärts­trei­ben­den Beat kommt einem die Ham­bur­ger Band Die Hei­ter­keit in den Sinn.

Zinn

Chthuluzän

Ver­öf­fent­licht: 9. Februar 2024
Label: Staatsakt

Spürst du das Kapital? / Es ist überall

Du atmest es ein / Es atmet dich aus.

Text­aus­schnitt aus „Das Kapital ”

Nach ihrem selbst­be­ti­tel­ten Debüt ist jetzt am 9. Februar 2024 auf dem Label Staats­akt ihr zwei­tes Album „Cht­hu­lu­zän“ erschie­nen – ein Titel, der zurück­geht auf das 2018 erschie­nene Buch „Unru­hig blei­ben“. Darin ruft die US-Phi­lo­so­phin und Femi­nis­tin Donna Hara­way in einem wil­den Mix aus Sci­ence Fic­tion, Phi­lo­so­phie und Pro­gram­ma­tik das neue Zeit­al­ter Cht­hu­lu­zän aus, das eben nicht — wie im Anthro­po­zän — den Men­schen ins Zen­trum des Den­kens und der Geschichte stellt, son­dern das Leben aller Arten, Krea­tu­ren und Tech­ni­ken. Es sol­len neue Bezie­hun­gen und Ver­flech­tun­gen ent­ste­hen, quer zur bio­lo­gi­schen und tech­ni­schen Her­kunft. Aus die­ser Uto­pie ent­wi­ckelt Zinn eine Art Kon­zept­al­bum, jenes völ­lig aus der Zeit gefal­lene Alb­um­for­mat. Gleich im Auf­takt­song „Chtu­lucene“ sieht Mar­ga­rete Wagen­ho­fer das neue Zeit­al­ter auf­zie­hen, singt von Spin­nen, Koral­len und Pil­zen, die zu neuen Ver­kno­tun­gen zusam­men­fin­den und eine neue Welt ent­ste­hen las­sen: „I can see / I can hear /I can see a new world“. In doo­mi­gem Zeit­lu­pen­tempo kommt der Track als rum­pe­lige Polka daher, die von Bas­sis­tin Jas­min Strauss und Drum­me­rin Lili Kauf­mann schlep­pend vor­an­ge­trie­ben wird. 

Alles auf Neu

Ein Neu­be­ginn auch im zwei­ten Track: Scha­ma­nen­haft wird das Ende des Patri­ar­chats beschwo­ren und her­bei­ge­sehnt. Die Zeit der alten wei­ßen Män­ner ist end­gül­tig abge­lau­fen. Am Ende heißt es dann: „Und nie­mand wird über dich wei­nen”. Im schö­nen, schwel­ge­ri­schen „Die Dra­ma­tur­gie des Nach­mit­tags“ wird das Trio von den Geis­tes­ver­wand­ten und Staats­akt-Label­kol­le­gen Inter­na­tio­nal Music beglei­tet und auch hier beob­ach­tet Zinn träge, die Ent­ste­hung par­al­le­ler Wel­ten und Exis­ten­zen. In dem an Hil­de­gard Knef erin­nern­den Chan­son „Maschine sag“ beweist die Tech­nik Mit­ge­fühl, wenn die Maschine sich nach unse­rem Befin­den und Pro­ble­men erkun­digt. Ein Schlüs­sel­song ist sicher das pul­sie­rende, bit­ter­böse „Das Kapi­tal“, in dem Wagen­ho­fer über das Unheil des Kapi­tals doziert und die genia­len Zei­len aus­spuckt: „Spürst du das Kapi­tal? / es ist über­all / du atmest es ein / es atmet dich aus.“ Pas­send dazu bie­tet das Album noch eine außer­ge­wöhn­li­che Indie-Pop-Ver­sion von Ber­told Brechts Bal­lade See­räu­ber-Jenny. Der aus­ge­prägte Thea­ter­ap­peal des Wie­ner Trios kommt hier logi­scher­weise am Stärks­ten zum Tra­gen. Der Schluss-Track „Apo­ca­lypso“ erin­nert nicht nur vom Titel her an die eben­falls aus Öster­reich stam­men­den und in Ber­lin leben­den Ja, Panik, die auch über Mau­rice Sum­mens Staats­akt ver­öf­fent­li­chen. „Tanz, Baby, tanz den Apo­ca­lypso mit mir/ Tanz, ´cause the end is near“ singt das Frauen-Trio da – und deng­lischt da genauso herr­lich gekonnt und sou­ve­rän wie – eben – Ja, Panik. Zinn ver­ab­schie­den sich mit „Cht­hu­lu­zän“ vom klas­si­schen Indie-Pop und wen­den sich mit die­sem text­lich wie musi­ka­lisch erst­klas­si­gen Album einem thea­tra­li­schen, aka­de­mi­schen Art-Rock zu, mit dyna­mi­schen Ato­na­li­tä­ten und schlie­ren­den Syn­thi­flä­chen, gepaart mit per­len­den Gitar­ren, zar­ten Cello-Ein­spreng­seln und gele­gent­li­chen Trompeten-Fanfaren.