Gitarrenwände und Klangarchitekturen: Zur Ausstellung „Bad Moon Rising“ wird in der Galerie Beck & Eggeling „12 Guitars“ des Künstlers Stefan Kürten aufgeführt.
Am 28. Mai verwandelt sich die Düsseldorfer Galerie Beck & Eggeling in ein vibrierendes Klanglabor. Anlässlich der Ausstellung „Bad Moon Rising“ lädt der Künstler Stefan Kürten zur Performance „12 Guitars“ – ein musikalisches Ereignis, das sich jeder stilistischen Einordnung entzieht. Eigentlich eine Veranstaltung ganz nach meinem Geschmack. Ich bin an diesem Abend jedoch im Gebäude 9 in Köln, wo The Jesus Lizard ihre Vision von Lärm und Gitarre präsentieren. Gabi – obwohl nicht ganz sicher, ob das „ihre“ Musik ist — besucht die Veranstaltung, sind doch einige Freunde und Bekannte von uns unter den Mitwirkenden.
Klang ohne Probe – Musik als Moment
„12 Guitars“ wurde 2017 in der Kunsthalle Düsseldorf erstmals aufgeführt und hat sich seither an verschiedenen Orten in immer neuen Varianten entfaltet – immer live und offen für das Unerwartete. Kürten selbst gibt lediglich eine grobe Struktur vor. Ausgehend von einer einzelnen Gitarre baut sich die Performance zu einer dichten „wall of sound“ aus zwölf Gitarren (tatsächlich sind es an diesem Abend 13), Bass und Schlagzeug auf – minimalistisch, hypnotisch, intensiv. Die Gitarre von Stefan Kürten setzt den ersten Ton, es folgt Schlagzeug, dann Bass und nacheinander alle anderen Gitarren – exakt nach dreißig Minuten verstummen alle gleichzeitig.
Glenn Brancas Vermächtnis
Doch so offen das Konzept auch angelegt ist, drängt sich mir ein Vergleich auf: Glenn Branca, New Yorker Avantgardist und Begründer orchestraler Gitarrenmusik, steht unüberhörbar Pate. Schon Brancas bahnbrechendes Album „The Ascension“ von 1981 schichtete Gitarren zu einer wuchtigen Klangarchitektur, bei der alle Saiten auf denselben Ton gestimmt und in hoher Lautstärke gespielt wurden. Bemerkenswert auch seine „Symphony Nr. 16 — Orgasm“ – eine Komposition für einhundert Gitarren unterstützt von Schlagzeugen und Bässen, die er zuletzt im Februar 2015 in der Pariser Philharmonie mit großer Ruhe dirigierte. Kürtens Projekt nimmt diesen Faden auf – und führt ihn weiter. Statt eines durchkomponierten Werks entfaltet sich „12 Guitars“ jedes Mal neu: ohne Proben, mit wechselnden Musiker*innen, getragen allein von einer offenen Struktur. Kürten beginnt solo, dann folgen Bass und Schlagzeug – und schließlich elf, an diesem Abend sogar zwölf, weitere Gitarren, die sich zu einer dichten, wogenden Soundfläche verweben.
Klang als körperliche Erfahrung
Was dabei entsteht, ist weniger ein Konzert als ein kollektives Hörerlebnis: ein hypnotischer Klangteppich, der nicht auf Melodie oder Songform zielt, sondern auf Atmosphäre, auf physische Präsenz. Die Gitarre wird nicht solistisch verstanden, sondern als Baustein eines massiven Klangkörpers. Der Begriff „wall of sound“ greift hier nicht nur musikalisch, sondern auch emotional – es ist ein akustisches Vibrieren, das Körper und Raum gleichermaßen erfasst.
Zwischen Pop und Untergrund
Der Titel der begleitenden Ausstellung, „Bad Moon Rising“, schlägt ebenfalls eine Brücke zwischen Popkultur und subversiver Klangästhetik: Ursprünglich ein düsterer Hit von Creedence Clearwater Revival, wurde „Bad Moon Rising“ später auch zum Titel eines Schlüsselalbums von Sonic Youth – jener Band, in deren Umfeld auch Glenn Branca künstlerisch wirkte. Sonic-Youth-Gitarrist Lee Ranaldo war Teil des Ensembles auf „The Ascension“.
Ein Gesamtkunstwerk
So reichen die Assoziationen von Endzeitstimmung bis Gegenentwurf, von Rockmythos bis zu Noise-Avantgarde. „12 Guitars“ ist ein Gesamtkunstwerk, das Bildende Kunst, Musik und Performance auf radikale Weise zusammenführt. Kürtens Klangarbeit ist damit nicht nur eine Reverenz an Glenn Branca – sie ist auch eine eigenständige Weiterentwicklung. Eine, die den Geist von „The Ascension“ in die Gegenwart übersetzt: roh, unmittelbar, zutiefst sinnlich. Und letztendlich fand die Wucht und Dringlichkeit dieser Performance auch Gabis uneingeschränkten Beifall – ich wäre auch gern dabei gewesen…
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