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Tropical Fuck Storm

Durch­schnitt­li­che Lese­dauer 4 Minu­ten

Tro­pi­cal Fuck Storm ist ein aus­tra­li­sches Quar­tett aus Mel­bourne, Vic­to­ria, gegrün­det von Gareth Lid­di­ard und Fiona Kit­schin, die zuvor lange Jahre mit wech­seln­den Musiker*innen die aus­tra­li­sche Rock­band The Dro­nes bil­de­ten. Nach deren 2016er Schluss­werk Fee­lin Kinda Free“ ent­schie­den sich die bei­den dazu, The Dro­nes auf Eis zu legen und eine neue Band zu grün­den. 2017 rekru­tierte das Pär­chen die Mul­ti­in­stru­men­ta­lis­tin Erica Dunn, die vor­her bei den Bands Mod Con, Harm­ony sowie Palm Springs spielte, sowie Lau­ren Ham­mel, die Schlag­zeu­ge­rin der Metal­band High Ten­sion. Ihr Sound ist durch Ele­mente von Art Punk, Noise Rock und Expe­ri­men­tal Rock gekenn­zeich­net. Ein neuer Name war auch schnell gefun­den: Tro­pi­cal Fuck Storm. Das gleich­na­mige Label war zuvor eigens für das letzte Album von The Dro­nes gegrün­det worden.

Tropical Fuck Storm. Fairyland Codex

Tropical Fuck Storm

Fairyland Codex

Ver­öf­fent­licht: 20. Juni 2025
Label: Fire

Fairy­land Codex –Album Review

We stood shit scared in the pouring rain
As it began to speak
It said I didn’t mean to startle you
I heard your engines in the deep
You see I’ve wrecked Korean trawlers
I’ve mauled a French corvette
I spooked an aircraft carrier that scrambled at its jets
And I muddled up the Bay of Pigs back in 1962
Yet this time I’m quite sure that things won’t end so well for you”

Text­aus­schnitt aus Iru­kandji Syndrome“

Das vierte Album von Tro­pi­cal Fuck Storm, Fairy­land Codex“, ist keine ein­fa­che Platte – und will es auch gar nicht sein. Ein­mal mehr lie­fert das aus­tra­li­sche Quar­tett ein Werk ab, das sich mit aller Vehe­menz gegen Sim­pli­fi­zie­rung und glatt­ge­bü­gel­ten Kon­sum-Pop stemmt. Mehr noch: Fairy­land Codex“ ist ein Mani­fest der Kako­pho­nie, der Pop-Dekon­struk­tion – ein schrä­ger Gruß aus dem musi­ka­li­schen Mär­chen­land. Gareth Lid­di­ard gibt hier den Zere­mo­nien­meis­ter eines musi­ka­li­schen Pan­op­ti­kums, und zusam­men mit den gesang­li­chen und instru­men­ta­len Har­mo­nien von Bas­sis­tin Fiona Kit­schin und Gitar­ris­tin, Key­boar­de­rin und Sän­ge­rin Erica Dunn sowie dem unty­pi­schen Schlag­werk­spiel von Lau­ren Ham­mel ent­steht ein fast anar­chis­ti­scher Klang­raum vol­ler Span­nung und Tiefe – ein Sound­ge­flecht aus Noise, Disco, Swamp-Blues, Funk, Welt­mu­sik-Fet­zen und Spo­ken Word mit einem wabern­den, psy­che­de­li­schen Ansatz.

Rein in den Sturm

Der Ein­stieg in die­ses Album ist ein typisch aus­tra­li­scher – denn dort kennt jeder das Iru­kandji Syn­drome“: eine poten­zi­ell lebens­be­droh­li­che Reak­tion auf den Stich einer gif­ti­gen Qualle, die starke Schmer­zen, Blut­hoch­druck und in schwe­ren Fäl­len Herz­kom­pli­ka­tio­nen ver­ur­sacht. Ent­spre­chend wirkt die­ser Track wie eine musi­ka­li­sche Panik­at­ta­cke. Bass und Drums trei­ben, Gitar­ren schnei­den, Stim­men geis­tern durch den Track – eine dichte Sound­wand, die das Gefühl einer nahen­den Apo­ka­lypse beschwört. Eine Meta­pher für das Jetzt, ver­packt in eine fieb­rige See­fahrts­bal­lade. Die zweite Num­mer legt offen, worum es auf die­sem Album wirk­lich geht: Pro­pa­ganda, Macht, Ohn­macht. It’s a gol­den age of ass­ho­les and the tri­umph of dis­grace“, heißt es in Goon Show“ – irgendwo zwi­schen Zynis­mus und Resi­gna­tion. Aber es ist kein Jam­mern, eher eine Rebel­lion mit ver­zerr­ten Gitar­ren und einem mehr­stim­mi­gen Chor – mit­reis­send und schön.

Zwischen Fiebertraum und Disco

Mit Songs wie Teeth Mar­ché“ und Blood­sport“ wird das Album bei­nahe tanz­bar. Dunn über­nimmt auf ers­te­rem die Lead-Vocals und lässt ein wenig Soul und Disco durch die Noise-Suppe blub­bern, wäh­rend Kit­schin auf Blood­sport“ die Pop-Geis­ter beschwört und Tro­pen­punk mit Calypso kreuzt. Und doch: Unter der Ober­flä­che bleibt es bit­ter. Gucci Revo­lu­tion Anec­do­tes“, so eine der bis­sigs­ten Zei­len, nimmt den poli­ti­schen Akti­vis­mus im Insta­gram-Zeit­al­ter aufs Korn.

Zwischen Chaos und Katharsis

Der über acht­mi­nü­tige Titel­song chan­giert zwi­schen akus­ti­scher Wärme, bal­la­des­ker Inti­mi­tät und plötz­li­chen Noise-Aus­brü­chen. Die akus­ti­schen Gitar­ren klin­gen wie eine trü­ge­ri­sche Oase, die immer wie­der unter Feed­back und Dis­so­nanz ver­schwin­det. Es ist ein Lied mit dem zar­ten Refrain A vil­lage in hell, it’s wai­ting for you“ – ein Song über Dys­to­pien, die längst Rea­li­tät sind. Und doch lauscht man mit einer Art Ergrif­fen­heit, als würde man ein Mär­chen lesen, das man nicht ganz ver­steht, aber trotz­dem liebt.

Zwischen Mythos und Mord

Joe Meek Will Inhe­rit the Earth“ kommt als musi­ka­li­scher Fie­ber­traum mit Orgel, ver­schlepp­tem Beat und sur­rea­ler Erzähl­ebene daher. Erzählt wird die Geschichte des bri­ti­schen Musik­pro­du­zen­ten Joe Meek und Vio­let Shen­ton. Meek glaubte, über Ton­band­auf­nah­men mit Buddy Holly kom­mu­ni­zie­ren zu kön­nen, und hielt Séan­cen an des­sen Grab ab. Eines Tages ver­brennt er seine Besitz­tü­mer und Doku­mente, sagt, er sei bereit“, und erschießt – ver­mut­lich ver­se­hent­lich – seine Ver­mie­te­rin Vio­let Shen­ton, die ihn beru­hi­gen will. Anschlie­ßend lädt er die Flinte nach und rich­tet sie gegen sich selbst. Zum Zeit­punkt der Tat litt Meek offen­bar unter Para­noia und Schlaf­man­gel. TFS ver­ar­bei­ten das Gesche­hen in eine Art psy­che­de­li­sche Medi­ta­tion über Angst, Schuld und Nacht.

Ein Kodex für Freaks

Das ganze Album ist – nomen est omen – ein Kodex. Kein ech­tes Regel­buch, son­dern ein Sam­mel­werk von Ein­drü­cken, Frag­men­ten und Reak­tio­nen auf eine Welt, die in Auf­lö­sung begrif­fen ist. Tro­pi­cal Fuck Storm bün­deln darin Sound-Viel­falt, Wahn­sinn, Gesell­schafts­kri­tik – und eine uner­war­tete, fast zärt­li­che Mensch­lich­keit. Das Art­work von Joe Becker tut sein Übri­ges, um die­ses sur­reale Tage­buch zu rah­men – als hätte Hie­ro­ny­mus Bosch das Cover eines Mär­chen­buchs ent­wor­fen.
Fairy­land Codex“ ist laut, ver­wir­rend, wun­der­schön, ver­stö­rend – und manch­mal alles gleich­zei­tig. Man muss sich nur dar­auf einlassen.

Tropical Fuck Storm, Inflatable Graveyard

Tropical Fuck Storm

Inflatable Graveyard

Ver­öf­fent­licht: 27. Sep­tem­ber 2024
Label: Three Lobed Recordings

Inflata­ble Gra­vey­ard –Album Review

I picked her car up from the depot
I had my lunch at China Rose
And then I snorted half a gram of Australia’s finest home made coke

Text­aus­schnitt aus You Let My Tyres Down“

Inflata­ble Gra­vey­ard“ ist das erste Live-Album des Art-Punk-Quar­tetts Tro­pi­cal Fuck Storm. Die­ses Release fängt ihre Show am 22. Okto­ber 2022 in Chi­ca­gos Lin­coln Hall ein, die Teil ihrer welt­wei­ten Fuck the Rain Away-Tour war. Es ist ein wil­des, ener­gi­sches Live-Set. Fans wis­sen, dass ihre Alben rocken, aber ihre Live-Shows hin­ge­gen schred­dern gera­dezu die Ohr­mu­scheln. Die ener­gie­ge­la­dene Live-Atmo­sphäre spürt man in jeder Sekunde die­ses Albums. Dabei darf man die 11 Songs auch als als ein Grea­test-Hits-Album betrach­ten, denn die­ser Live-Mit­schnitt umfasst die High­lights ihrer drei Stu­dio­al­ben A Laug­hing Death in Meat­space“ (2018), Bra­in­drops“ (2019) und Deep Sta­tes“ (2021) sowie zwei Cover­ver­sio­nen: Ann“ von The Stoo­ges und eine extrem fuz­zige, rockige Ver­sion des Songs Stayin’ Alive“ von The Bee Gees — das muss man erst ein­mal so bringen.

Chaotisch, aber immer mit Überblick

Die krea­tive Ener­gie dies Lives-Sets kann man auf die­sem Album hör­bar mit­er­le­ben. Ein­ge­lei­tet wird die Show mit dem ein­ge­spiel­ten bizar­ren Reg­gae-Track Men’s Only Cos­tume Party“, der nach 30 Sekun­den mit hef­tig ver­zerr­ten Gitar­ren in das zap­paeske Bra­in­drops“ über­geht. Über­bor­dend ener­ge­tisch geht es auf dem über eine Stunde dau­ern­den Album zu. Wie gesagt, ein Hit jagt den nächs­ten: Ob You Let My Tyres Down“ oder Cha­me­leon Paint“, ob Para­dise“ oder Anti­mat­ter Ani­mals“ – Fans wer­den jeden Track kopf­ni­ckend beglei­ten, für TFS-Neu­linge sind diese Tracks ein guter Ein­stieg in die psy­che­de­lisch rockende Welt der vier Melbourner*innen, wobei sie sich für das Ende des Albums noch einen fet­ten Trumpf auf­he­ben: Nach dem über­schwäng­li­chen Two After­noons“ mit sei­nen vie­len Ver­zer­run­gen folgt ein unglaub­li­ches Cover von Stayin‘ Alive“ der Bee Gees, das eben­falls in psy­che­de­li­schen Ver­zer­rung unter­zu­ge­hen droht. Die Band ver­liert aber nie den Über­blick, hält die Melo­die und macht sich die­sen alten Dance-Cra­s­her zu eigen. Tro­pi­cal Fuck Storm zei­gen sich auf Inflata­ble Gra­vey­ard“ ent­flammt, roh und unge­fil­tert – eben live. Ich wäre gern dabei gewesen!