Tropical Fuck Storm ist ein australisches Quartett aus Melbourne, Victoria, gegründet von Gareth Liddiard und Fiona Kitschin, die zuvor lange Jahre mit wechselnden Musiker*innen die australische Rockband The Drones bildeten. Nach deren 2016er Schlusswerk „Feelin Kinda Free“ entschieden sich die beiden dazu, The Drones auf Eis zu legen und eine neue Band zu gründen. 2017 rekrutierte das Pärchen die Multiinstrumentalistin Erica Dunn, die vorher bei den Bands Mod Con, Harmony sowie Palm Springs spielte, sowie Lauren Hammel, die Schlagzeugerin der Metalband High Tension. Ihr Sound ist durch Elemente von Art Punk, Noise Rock und Experimental Rock gekennzeichnet. Ein neuer Name war auch schnell gefunden: Tropical Fuck Storm. Das gleichnamige Label war zuvor eigens für das letzte Album von The Drones gegründet worden.
Fairyland Codex –Album Review
We stood shit scared in the pouring rain
Textausschnitt aus „Irukandji Syndrome“
As it began to speak
It said „I didn’t mean to startle you
I heard your engines in the deep
You see I’ve wrecked Korean trawlers
I’ve mauled a French corvette
I spooked an aircraft carrier that scrambled at its jets
And I muddled up the Bay of Pigs back in 1962
Yet this time I’m quite sure that things won’t end so well for you”
Das vierte Album von Tropical Fuck Storm, „Fairyland Codex“, ist keine einfache Platte – und will es auch gar nicht sein. Einmal mehr liefert das australische Quartett ein Werk ab, das sich mit aller Vehemenz gegen Simplifizierung und glattgebügelten Konsum-Pop stemmt. Mehr noch: „Fairyland Codex“ ist ein Manifest der Kakophonie, der Pop-Dekonstruktion – ein schräger Gruß aus dem musikalischen Märchenland. Gareth Liddiard gibt hier den Zeremonienmeister eines musikalischen Panoptikums, und zusammen mit den gesanglichen und instrumentalen Harmonien von Bassistin Fiona Kitschin und Gitarristin, Keyboarderin und Sängerin Erica Dunn sowie dem untypischen Schlagwerkspiel von Lauren Hammel entsteht ein fast anarchistischer Klangraum voller Spannung und Tiefe – ein Soundgeflecht aus Noise, Disco, Swamp-Blues, Funk, Weltmusik-Fetzen und Spoken Word mit einem wabernden, psychedelischen Ansatz.
Rein in den Sturm
Der Einstieg in dieses Album ist ein typisch australischer – denn dort kennt jeder das „Irukandji Syndrome“: eine potenziell lebensbedrohliche Reaktion auf den Stich einer giftigen Qualle, die starke Schmerzen, Bluthochdruck und in schweren Fällen Herzkomplikationen verursacht. Entsprechend wirkt dieser Track wie eine musikalische Panikattacke. Bass und Drums treiben, Gitarren schneiden, Stimmen geistern durch den Track – eine dichte Soundwand, die das Gefühl einer nahenden Apokalypse beschwört. Eine Metapher für das Jetzt, verpackt in eine fiebrige Seefahrtsballade. Die zweite Nummer legt offen, worum es auf diesem Album wirklich geht: Propaganda, Macht, Ohnmacht. „It’s a golden age of assholes and the triumph of disgrace“, heißt es in „Goon Show“ – irgendwo zwischen Zynismus und Resignation. Aber es ist kein Jammern, eher eine Rebellion mit verzerrten Gitarren und einem mehrstimmigen Chor – mitreissend und schön.
Zwischen Fiebertraum und Disco
Mit Songs wie „Teeth Marché“ und „Bloodsport“ wird das Album beinahe tanzbar. Dunn übernimmt auf ersterem die Lead-Vocals und lässt ein wenig Soul und Disco durch die Noise-Suppe blubbern, während Kitschin auf „Bloodsport“ die Pop-Geister beschwört und Tropenpunk mit Calypso kreuzt. Und doch: Unter der Oberfläche bleibt es bitter. „Gucci Revolution Anecdotes“, so eine der bissigsten Zeilen, nimmt den politischen Aktivismus im Instagram-Zeitalter aufs Korn.
Zwischen Chaos und Katharsis
Der über achtminütige Titelsong changiert zwischen akustischer Wärme, balladesker Intimität und plötzlichen Noise-Ausbrüchen. Die akustischen Gitarren klingen wie eine trügerische Oase, die immer wieder unter Feedback und Dissonanz verschwindet. Es ist ein Lied mit dem zarten Refrain „A village in hell, it’s waiting for you“ – ein Song über Dystopien, die längst Realität sind. Und doch lauscht man mit einer Art Ergriffenheit, als würde man ein Märchen lesen, das man nicht ganz versteht, aber trotzdem liebt.
Zwischen Mythos und Mord
„Joe Meek Will Inherit the Earth“ kommt als musikalischer Fiebertraum mit Orgel, verschlepptem Beat und surrealer Erzählebene daher. Erzählt wird die Geschichte des britischen Musikproduzenten Joe Meek und Violet Shenton. Meek glaubte, über Tonbandaufnahmen mit Buddy Holly kommunizieren zu können, und hielt Séancen an dessen Grab ab. Eines Tages verbrennt er seine Besitztümer und Dokumente, sagt, „er sei bereit“, und erschießt – vermutlich versehentlich – seine Vermieterin Violet Shenton, die ihn beruhigen will. Anschließend lädt er die Flinte nach und richtet sie gegen sich selbst. Zum Zeitpunkt der Tat litt Meek offenbar unter Paranoia und Schlafmangel. TFS verarbeiten das Geschehen in eine Art psychedelische Meditation über Angst, Schuld und Nacht.
Ein Kodex für Freaks
Das ganze Album ist – nomen est omen – ein Kodex. Kein echtes Regelbuch, sondern ein Sammelwerk von Eindrücken, Fragmenten und Reaktionen auf eine Welt, die in Auflösung begriffen ist. Tropical Fuck Storm bündeln darin Sound-Vielfalt, Wahnsinn, Gesellschaftskritik – und eine unerwartete, fast zärtliche Menschlichkeit. Das Artwork von Joe Becker tut sein Übriges, um dieses surreale Tagebuch zu rahmen – als hätte Hieronymus Bosch das Cover eines Märchenbuchs entworfen.
„Fairyland Codex“ ist laut, verwirrend, wunderschön, verstörend – und manchmal alles gleichzeitig. Man muss sich nur darauf einlassen.

Tropical Fuck Storm
Inflatable Graveyard
Veröffentlicht: 27. September 2024
Label: Three Lobed Recordings
Inflatable Graveyard –Album Review
I picked her car up from the depot
Textausschnitt aus „You Let My Tyres Down“
I had my lunch at China Rose
And then I snorted half a gram of Australia’s finest home made coke
„Inflatable Graveyard“ ist das erste Live-Album des Art-Punk-Quartetts Tropical Fuck Storm. Dieses Release fängt ihre Show am 22. Oktober 2022 in Chicagos Lincoln Hall ein, die Teil ihrer weltweiten Fuck the Rain Away-Tour war. Es ist ein wildes, energisches Live-Set. Fans wissen, dass ihre Alben rocken, aber ihre Live-Shows hingegen schreddern geradezu die Ohrmuscheln. Die energiegeladene Live-Atmosphäre spürt man in jeder Sekunde dieses Albums. Dabei darf man die 11 Songs auch als als ein Greatest-Hits-Album betrachten, denn dieser Live-Mitschnitt umfasst die Highlights ihrer drei Studioalben „A Laughing Death in Meatspace“ (2018), „Braindrops“ (2019) und „Deep States“ (2021) sowie zwei Coverversionen: „Ann“ von The Stooges und eine extrem fuzzige, rockige Version des Songs „Stayin’ Alive“ von The Bee Gees — das muss man erst einmal so bringen.
Chaotisch, aber immer mit Überblick
Die kreative Energie dies Lives-Sets kann man auf diesem Album hörbar miterleben. Eingeleitet wird die Show mit dem eingespielten bizarren Reggae-Track „Men’s Only Costume Party“, der nach 30 Sekunden mit heftig verzerrten Gitarren in das zappaeske „Braindrops“ übergeht. Überbordend energetisch geht es auf dem über eine Stunde dauernden Album zu. Wie gesagt, ein Hit jagt den nächsten: Ob „You Let My Tyres Down“ oder „Chameleon Paint“, ob „Paradise“ oder „Antimatter Animals“ – Fans werden jeden Track kopfnickend begleiten, für TFS-Neulinge sind diese Tracks ein guter Einstieg in die psychedelisch rockende Welt der vier Melbourner*innen, wobei sie sich für das Ende des Albums noch einen fetten Trumpf aufheben: Nach dem überschwänglichen „Two Afternoons“ mit seinen vielen Verzerrungen folgt ein unglaubliches Cover von „Stayin‘ Alive“ der Bee Gees, das ebenfalls in psychedelischen Verzerrung unterzugehen droht. Die Band verliert aber nie den Überblick, hält die Melodie und macht sich diesen alten Dance-Crasher zu eigen. Tropical Fuck Storm zeigen sich auf „Inflatable Graveyard“ entflammt, roh und ungefiltert – eben live. Ich wäre gern dabei gewesen!