Yo La Tengo (oft auch abgekürzt als YLT) gehören schon seit Jahren — ok, ich steh’ zu meinem Alter — seit Jahrzehnten zu meinen All-Time-Favs. Bereits 1984 wurde die Band in Hoboken, New Jersey von Ira Kaplan und seiner Frau Georgia Hubley gegründet. Beide vereint neben ihrer tiefen musikalischen Leidenschaft eine große Begeisterung für Baseball — daher auch ihr Name: Yo La Tengo ist spanisch und bedeutet übersetzt „Ich habe ihn“. Ein Ausdruck im Baseball, mit dem man dem Mitspieler mitteilt, dass man den Ball fangen wird. Nach anfänglich häufigem Besetzungswechsel am Bass spielt seit 1992 James McNew auf dieser Position. Bereits das erstes Album „Ride the Tiger“, zur der Zeit noch im Quartett mit Dave Schramm und Mike Lewis eingespielt, wurde von den Kritikern mit viel Lob bedacht und mit den folgenden Veröffentlichungen avancierten YLT schon bald bei Insidern und Musikjournalisten zu einer der wichtigsten Bands der 1990er Jahre. Ein echter kommerzieller Erfolg blieb den Kritikerlieblingen allerdings bis heute verwehrt. Aber wie meint der mittlerweile 66jährige Kaplan: „Es gibt Schlimmeres, als ‚Kritikerliebling’ genannt zu werden. Und natürlich empfinde ich das als Kompliment.“
Yo La Tengo
This Stupid World
Veröffentlicht: 10. Februar 2023
Label: Matador
I see what you see, I see wintеr still
Textausschnitt aus „Sinatra Drive Breakdown”
I see clearly how it ends
I see the moon rise as the sun descends
„This Stupid World“ ist mittlerweile das 18. reguläre Album der Band und dabei das erste, das komplett ohne externen Produzenten und Mischer entstanden ist. Anfänglich war wohl der Plan, dass jemand das Abmischen später übernehmen wird, aber als die drei die ersten Aufnahmen gemacht hatten, waren sie so zufrieden damit, dass sie beschlossen, „This Stupid World“ ganz allein aufzunehmen. Und das wirkt sich im positiven Sinn auch auf das Album aus, es klingt unmittelbar und spontan, ja zuweilen denkt man, man würde einer sensationell guten Live-Aufnahme lauschen. Gleich das erste Stück „Sinatra Drive Breakdown“ geht in die Vollen. YLT at its Best: Eine eingängige, rhythmische Melodie umgarnt von knurrenden, herrlichen Fuzz-Gitarren wird von einem groovigen Bass lässig nach vorn getrieben und entwickelt dabei den typischen unverwechselbaren Sound dieses Trios. Ein Track, der sich über sieben Minuten ausbreitet und bei der Stange hält, das alles klingt stark nach dem herrlichen, ausladenden „Pass The Hatchet, I Think I’m Goodkind“ aus dem Jahr 2006, wobei auch im weiteren Verlauf des Albums bei aller Vertrautheit nie der Eindruck aufkommt, hier würden alte Ideen neu aufgewärmt. Alles hört und fühlt sich auf wundersame Weise und trotz Distortion und Verzerrung weich und einfühlsam an — nicht zuletzt wegen der zum Teil gehauchten, aber zumeist zärtlich vorgetragenen Gesangsparts, gerne auch mal im Duett. Die ausgedehnten instrumentalen Pausen und Outros sind dabei nie überflüssig, sondern lassen einen tiefer in die Atmosphäre der Songs eintauchen. Es muss eine unglaubliche musikalische Vertrautheit und ein hohes Verständnis untereinander herrschen, um ein solch frisches, authentisches Album jammässig einzuspielen. „This stupid world, it’s killing me“, heißt es schließlich im Titeltrack — und weiter: „This stupid world is all we have“. Dieser energische, repetitive Shoegaze-Track mit seinen mächtigen Verzerrungen und Rückkopplungen klingt dann doch ungewohnt fatalistisch — und beim nächsten Track mit dem zarten „Miles away“, der ganz langsam in eigene Sphären verschwindet, heißt es noch: „Burdens rise, Avert your eyes, The pain creeps in anyhow“ (Die Lasten steigen, Wendet eure Augen ab, Der Schmerz schleicht sich trotzdem ein). Das klingt ausweglos und depressiv, doch Yo La Tengo bleiben hoffnungsvoll und betonen die Möglichkeiten und Chancen, die wir haben.
Yo La Tengo bleiben — nicht nur für mich — einfach unverzichtbar, weil sie es immer wieder schaffen, ihre Liebe zur Musik hörbar zu machen und dabei so unwiderstehlich unprätentiös bleiben. Im April werden sie auch in Deutschland wieder live zu sehen sein und Kaplan verspricht in einem Interview mit dem ndr: „Wir reisen mit einem Glücksrad, auf dem unterschiedliche Spielweisen unserer Songs vermerkt sind. Jede Show beginnt mit jemandem aus dem Publikum, der daran dreht und so die erste Hälfte des Programms zusammenstellt. Ich freue mich darauf.“ — Ich werde dabei sein und auch ich freue mich riesig darauf… (Ich werde berichten, wie es war.)